Memo

19. Febr. 2025

Die neue „Klima-Geopolitik“ –  zur Interdependenz von Klimawandel und Geopolitik

Tim Bosch
Dr. Fanny Thornton
Dr. Kira Vinke
COP 30
Lizenz
Alle Rechte vorbehalten

Der Klimawandel beeinflusst die Beziehungen zwischen Staaten und wirkt sich auf die Geopolitik aus. Bisher lag die Aufmerksamkeit vor allem auf der Geopolitik der Dekarbonisierung – sprich auf der sich verändernden Energieversorgung, neuen Ressourcenabhängigkeiten und der Finanzierung des Klimaschutzes. Doch ebenso wichtig ist die Frage, wie die Kosten und Schäden des Klimawandels umgekehrt die Geopolitik verändern – durch die Schwächung der Wirtschaft, Unbewohnbarkeit ganzer Regionen oder die ungleiche Auswirkung von Klimafolgen. 

 

PDF

Share

Der veränderte Ressourcenbedarf und die umstrittene Zukunft fossiler Brennstoffe

Der Klimaschutz ist in einem entscheidenden Jahrzehnt der Umsetzung angelangt. Das Zeitfenster für die Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens schrumpft rapide und macht eine gefährliche Störung des Klimasystems durch den Menschen immer wahrscheinlicher. Da die Staatengemeinschaft Emissionsminderungen verzögert hat, werden die Bemühungen zur Transformation des Energiesystems wahrscheinlich disruptiver verlaufen und direkte Auswirkungen auf die Geopolitik haben.

Die meisten Szenarien zur Emissionsminderung, die eine Erwärmung von weniger als 2 °C bis zum Ende des Jahrhunderts vorhersagen, gehen von einem raschen Rückgang des Angebots von Kohle und Öl bis zur Mitte des Jahrhunderts aus. Diese Modelle deuten je nach zugrunde liegendem Szenario darauf hin, dass die Förderung von Kohle und Öl rund um die Jahre 2020 beziehungsweise 2030 ihren Scheitelpunkt erreichen. Der Entwicklungspfad bei Erdgas ist hingegen unsicherer. Während einige Szenarien auf einen Ausstieg um die Jahrhundertmitte hindeuten, sehen andere auf eine weitere Förderung bis zum Ende des Jahrhunderts und möglicherweise darüber hinaus vor. Angesichts der weltweit beispiellos hohen Treibhausgasemissionen und des Verbrauchs fossiler Brennstoffe scheint eine Trendwende jedoch in weiter Ferne zu liegen. 

Die von der Trump-Administration geplante Ausweitung der Nutzung fossiler Brennstoffe und die jüngsten Vorstöße einiger Vertragsparteien, den bei der Weltklimakonferenz in Dubai (COP28) erreichten Konsens umzukehren, zielen darauf ab, Transformationsprozesse zu verzögern oder zu verhindern. Folglich könnte es zu einer Fragmentierung der Klima- und Energiepolitik kommen, bei der einige Akteure die grüne Transformation stärker vorantreiben, während andere versuchen, etablierte Energie- und Wirtschaftsmodelle zu bewahren. Dennoch ist die grüne Transformation in vollem Gange, auch aufgrund veränderter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Der Fall der deutschen Automobilindustrie zeigt auf, dass eine Verzögerung der Transformation in grünen Schlüsseltechnologien den Verlust von Marktanteilen zugunsten anderer Akteure bedeuten kann.

Ambitionierte nationale Klimapolitiken sollten zu einer Verringerung der Nachfrage nach fossilen Brennstoffen führen. In den letzten siebzig Jahren konnten Anbieter fossiler Brennstoffe oft Marktdynamiken und Preise kontrollieren, etwa durch Produktionsquoten. Doch die wirtschaftliche Umstrukturierung schreitet voran, und die meisten Investitionen fließen heute weltweit in saubere Energie. Im Jahr 2024 beliefen sich die weltweiten Investitionen in diesen Bereich auf zwei Billionen Dollar – fast doppelt so viel wie in fossile Brennstoffe. Allein in den letzten fünf Jahren sind die Investitionen in klimafreundliche Energien um mehr als 60 Prozent gestiegen, vor allem aufgrund von Ausgaben für erneuerbare Energien, Netze und Speicher sowie Energieeffizienz und Endverbrauch. Dies ist ein bedeutender Unterschied im Vergleich zu vor nur zehn Jahren, als Investitionen in fossile Brennstoffe die Ausgaben für saubere Energien noch überstiegen. Im Rahmen des ersten Global Stocktake auf der COP28 im Dezember 2023 erkannten die Vertragsparteien des Pariser Abkommens die wachsende Dringlichkeit an und einigten sich auf einen „gerechten, geordneten und ausgewogenen Übergang weg von fossilen Brennstoffen in den Energiesystemen“. Die meisten Staaten beschlossen auch ein globales Ziel zur Verdreifachung der Kapazitäten an erneuerbaren Energien und zur Verdoppelung der Energieeffizienz bis 2030 („tripling up, doubling down“).

Die komplizierte Geopolitik der Dekarbonisierung

Geopolitik wird gemeinhin definiert als die „Analyse der geografischen Einflüsse auf die Machtverhältnisse in den internationalen Beziehungen“. Zu diesen geografischen Einflüssen gehören natürliche Ressourcen und, im 21. Jahrhundert, auch die Auswirkungen des Klimawandels. Die Betonung der „strategischen Bedeutung natürlicher Ressourcen, ihrer Lage, ihrer Transportwege und ihrer Engpässe“ ist etabliertes Interesse der Geopolitik. Und auch wenn sich der Ressourcenbedarf verschiebt, bleiben solche analytischen Betrachtungsweisen heute relevant. 

Gleichzeitig entstehen neue geopolitische Bedrohungen, wenn etwa Politiken zur Emissionsminderung die Monopolmacht von Akteuren infrage stellt, die auf der Gewinnung fossiler Ressourcen aufbaut. Gleiches gilt, wenn Akteure um die Kontrolle über neue Materialien und Ressourcen der grünen Transformation ringen. Der sich ändernde Ressourcenbedarf rückt neue Akteure in den Mittelpunkt, zum Beispiel Länder mit reichen Vorkommen an sogenannten kritischen Rohstoffen (CRM). Dies bringt erhebliche neue Einkommensmöglichkeiten und einen wachsenden Einfluss auf die Lieferketten mit sich. Allerdings ergeben sich auch neue Herausforderungen im Zusammenhang mit der Rohstoffgewinnung, wie zum Beispiel mögliche Schäden an Ökosystemen oder Risiken für Sozialstandards und Arbeitsrechte. 

Da die grüne Transformation die globale politische Ökonomie verändert, können viele Akteure bisher nicht realisierte komparative Vorteile nutzen und wirtschaftliche Chancen ergreifen. So besteht beispielsweise ein erhebliches Potenzial für die Gewinnung von Solar- oder Windenergie in der Golfregion oder in Chile. Dies schafft Potenziale für eine billige Erzeugung von Strom, der zur Produktion und zum Export von grünem Wasserstoff oder zur Herstellung von grünem Stahl im eigenen Land genutzt werden könnte. Hier ergeben sich Potenziale für eine große lokale Wertschöpfung und neue Arbeitsplätze.

 

Netto-Energieimporteure verbinden die grüne Transformation häufig mit Chancen für mehr Energiesicherheit und niedrigere Preise. Die Integration und Verbreitung neuer Energieträger und grüner Technologien hängt jedoch von der Versorgung mit kritischen Rohstoffen beziehungsweise entsprechenden Verarbeitungskapazitäten ab. Für die EU-Mitgliedstaaten stellen kritische Rohstoffe aufgrund der hohen Abhängigkeit von ausländischen Importen die „Achillesferse“ der grünen Transformation dar. Weltweit konzentrieren sich Abbau und Produktion kritischer Rohstoffe auf wenige Länder: Die Demokratische Republik Kongo liefert den größten Teil des Kobalts, China fördert oder produziert die meisten Seltenen Erden, und Indonesien ist führend bei der Versorgung mit Nickel (siehe Abbildung). Auch wichtige Verarbeitungskapazitäten, zum Beispiel für Permanentmagnete und Batterien, sind ungleich verteilt, wobei China die Weltmärkte dominiert. Sollte es zu einer längerfristigen Unterbrechung der Lieferketten für grüne Technologien wie Elektrofahrzeuge, Photovoltaik oder Windkraftanlagen kommen, könnte dies die Energiewende in einigen Regionen behindern. Abhängigkeiten könnten dann genutzt werden, um strategische Vorteile zu erzielen - so wie es im Zeitalter der fossilen Brennstoffe oft der Fall war. 

Marktbeherrschende Positionen werden durch geoökonomische Instrumente zudem gezielt gefördert. So hat China seine führende Position bei grünen Technologien durch die Förderung nationaler Marktführer und staatliche Unterstützungsmaßnahmen (z. B. Steuervorteile und Subventionen) ausgebaut. Als Reaktion darauf haben die Vereinigten Staaten und die Europäische Union (EU) jeweils eigene grüne Industriepolitiken entwickelt, um grüne Wertschöpfungsketten im eigenen Land anzusiedeln und so Risiken von Abhängigkeiten zu verringern. Die Beweggründe für diese Maßnahmen variieren. Sie umfassen die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, die Verteidigung von Führungspositionen in strategischen Märkten und wirtschaftliche Machtspiele. Die Einführung von Zöllen auf Elektrofahrzeuge und Ausgleichsmaßnahmen zwischen den USA und China bzw. den USA und der EU haben die Situation weiter politisiert. In einigen Fällen sind Klimaziele eher ein Nebenprodukt als ein Kernziel der Industriepolitik geworden. Handelskonflikte um Elektrofahrzeuge oder Solarpaneele könnten die grüne Transformation bremsen, da sie die Verbreitung der billigsten Technologien verhindern könnten.

In diesem Wettlauf um die Führung auf grünen Märkten könnten viele Schwellen- und Entwicklungsländer ins Hintertreffen geraten. Die Weltbank schätzt, dass der Finanzierungsbedarf für die grüne Transformation im Zeitraum 2022 bis 2030 durchschnittlich 1,4 Prozent des BIP betragen wird, in Ländern mit niedrigem Einkommen kann er jedoch bei über 5 Prozent liegen. Die Transformationskosten belasten somit die Länder mit niedrigem Einkommen relativ stärker. Neue Partnerschaftskonzepte, wie die Just Energy Transition Partnerships, zielen darauf ab, mehr Mittel für die Transformation in diesen Ländern bereitzustellen. Sie stoßen aber ihrerseits mitunter auf Kritik. Kritische Debatten über Reformen der internationalen Finanzinstitutionen weisen auf die Notwendigkeit struktureller Änderungen zum Schutz der globalen Gemeinschaftsgüter hin. 

Wachsende Klima-folgen und -schäden: Geopolitik neu betrachtet

Trotz der Zusagen, der globalen Erwärmung Einhalt zu gebieten, steigen die Treibhausgaskonzentrationen weltweit stetig an. Eine wärmere Welt ist folglich vorprogrammiert, selbst wenn die Emissionen von jetzt an erheblich reduziert werden. Menschen weltweit spüren den Anstieg des Meeresspiegels, Rekord-
hitze, Extremwetterereignisse, sowie Auswirkungen auf die biologische Vielfalt. Seit dem Aufblühen der menschlichen Zivilisation war es auf der Erde noch nie so heiß. Darüber hinaus besteht die Sorge, dass die Erderwärmung mehrere irreversible Klimakipppunkte auslösen könnte, die viele biophysikalische Systeme, von denen das menschliche Leben seit jeher abhängt, unwiderruflich verändern.

Unabhängig davon, ob wir die Dekarbonisierung vorantreiben oder hinauszögern, sind wir also gleichzeitig mit dem wachsenden Risiko von Klimaschäden konfrontiert, was der Geopolitik des Anthropozäns neue Komplexität verleiht. Die Geografie hat nicht nur Auswirkungen auf die internationale Politik. Menschliche Aktivitäten haben die geografischen Gegebenheiten bereits für Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, grundlegend verändert. Folglich ist eine einseitige Betrachtungsweise der Geopolitik, bei der die Geografie und Ressourcenvorkommen menschliches Handeln beeinflussen, nicht mehr zeitgemäß. Stattdessen gibt es eine komplexe, multidirektionale Interaktion zwischen geografischen Faktoren und menschlichem Verhalten.

Nach Angaben des Weltklimarats (IPCC) sind in einigen natürlichen Systemen bereits harte Grenzen der Anpassung erreicht. Das bedeutet, dass keine Anpassungsmaßnahmen und keine Technologie tiefgreifende Risiken für diese Systeme verhindern können – mit entsprechenden Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, Lebensgrundlagen, Infrastruktur, Handel, Finanzstabilität und Volkswirtschaften. Der neue Fonds für Schäden und Verluste im Rahmen der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) erkennt diese drastische Realität ebenfalls implizit an.

Eine aktuelle Studie geht davon aus, dass die globale Wirtschaftsleistung bis Mitte des Jahrhunderts um 19 Prozent niedriger sein wird als in einer Welt ohne Klimawandel. Wenn die Emissionen nicht eingedämmt werden, könnten die Verluste zukünftig noch größer werden. Eine andere Studie hebt hervor, dass durch die veränderten klimatischen Bedingungen eine Milliardenbevölkerung außerhalb der „menschlichen Klimanische“ verbleiben könnte - dem Temperaturkorridor, in dem die meisten Menschen leben und in dem die meisten wirtschaftlichen Aktivitäten stattfinden. Einige Gebiete könnten zukünftig unbewohnbar werden, was zur Vertreibung ganzer Bevölkerungsgruppen führen könnte. Da diese Auswirkungen ungleichmäßig über den Globus verteilt wären, würden sie zunehmend zu einer Quelle innen- und geopolitischer Spannungen und Auseinandersetzungen werden.

Geografische Machtverschiebungen

Die Geopolitik des Klimawandels verändert unser Denken über die zukünftige Verteilung von Macht, Einfluss und (In-)Stabilität in den internationalen Beziehungen. Angesichts der Auswirkungen der Dekarbonisierung – unabhängig davon, ob sie vorangetrieben oder hinausgezögert wird - sowie zunehmender Klimafolgen und Auswirkungen auf die Biologische Vielfalt, entsteht ein deutlich komplexeres Bild von „Gewinnern“ und „Verlierern“. So könnten beispielweise die Gewinne aus der Versorgung mit kritischen Rohstoffen den wirtschaftlichen Schaden, der durch wiederkehrende extreme Wetterereignisse entsteht, nicht vollständig ausgleichen. Die Beschränkung auf eine traditionelle Version geopolitischer Analyse – mit Betrachtung der strategischen Rolle von und Kontrolle über Territorium und natürliche Ressourcen zum Zwecke militärischer oder wirtschaftlicher Macht -, wird den komplexen Realitäten nicht gerecht und verhindert eine echte strategische Vorausschau. 

Handlungsempfehlungen

  • Abwägung von Kosten und Nutzen politischen Handelns und Nicht-Handelns auf verschiedenen Zeitskalen: Maßnahmen zum Klimaschutz verursachen kurz- bis mittelfristig Kosten, mindern aber langfristig kostspielige Klimafolgen. Nationale Institutionen mit einem Mandat für Energiepolitik und Klimafolgen sollten länderspezifische Bewertungen der Kosten und Vorteile bestimmter Emissionsminderungspfade in Auftrag geben. Das von Institutionen wie dem Weltklimarat (IPCC) gesammelte Fachwissen kann in ganzheitliche und langfristige Risikobewertungen integriert werden.
  • Schaffung institutioneller Kapazitäten zur Bewertung kurz- und langfristiger Veränderungen des strategischen Umfelds und der Risikobewertung am Nexus von Dekarbonisierung und Klimafolgen. Die Bundesregierung könnte diese Aufgabe im Rahmen eines neu geschaffenen Nationalen Sicherheitsrates in Angriff nehmen, der regelmäßig externe Briefings für die Strategieentwicklung entlang verschiedener Zeithorizonte in Auftrag gibt. Der Nationale Sicherheitsrat könnte den Kollaps von Ökosystemen und sich verändernde Monopolstrukturen in der Energiepolitik betrachten, um sich auf geopolitische Veränderungen vorzubereiten.
  • Entscheidungsträgerinnen und -träger weltweit sollten sich im Rahmen von Workshops und Planspielen mit den Zusammenhängen zwischen Klimawandel, biologischer Vielfalt und integrierter Sicherheit auseinandersetzen. Entscheidungsträgerinnen und -träger der oberen und mittleren Ebene im Sicherheitssektor sollten an genannten Formaten teilnehmen, um das Verständnis der vielschichtigen Auswirkungen zu vertiefen. Szenarienplanung und multidisziplinäre Workshops können dazu beitragen, Kapazitäten aufzubauen und das Bewusstsein für die Auswirkungen des Klimawandels auf die Bereiche Verteidigung, humanitäre Hilfe und Entwicklung zu verbessern. Letztlich kann dies die institutionelle Zusammenarbeit und strategische Vorbereitung fördern.

 

Bibliografische Angaben

Bosch, Tim, Fanny Thornton, and Kira Vinke. “Die neue „Klima-Geopolitik“ –  zur Interdependenz von Klimawandel und Geopolitik.” German Council on Foreign Relations. February 2025.

Themen & Regionen

Verwandter Inhalt