Nur drei Wochen nach ihrem Amtsantritt als japanische Premierministerin wurde Sanae Takaichi, Vorsitzende der konservativen Liberaldemokratischen Partei, auf die Probe gestellt. Auf die Frage, was ein Angriff Pekings auf Taiwan für Japan bedeuten würde, antwortete sie so klar wie keiner ihrer Vorgänger. Ein Überfall Pekings auf Taipei, wäre eine „überlebensbedrohende Situation“ für Tokio – damit wäre die Schwelle, die für den Einsatz der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte überschritten und eine Beteiligung Japans an einem Konflikt um Taiwan deutlich wahrscheinlicher.
Diese Äußerung kam ganz und gar nicht gut in Peking an. Chinesische Propaganda-Organe fuhren auf Hochtouren, um Japans Premierministerin zu verurteilen. Der chinesische Generalkonsul in Osaka forderte auf X, man solle ihr „den Kopf abschlagen“. Zugleich erließ Peking eine Reisewarnung für Japan und stoppte Fisch und Meeresfruchtimporte. Sogar aus den eigenen Reihen Takaichis kam die Forderung, sie solle ihre Aussage zurücknehmen – doch die Regierungschefin blieb bei Ihrer Bemerkung, die Peking als Verletzung der chinesischen Souveränität und Überschreitung einer roten Linie wertet. Seither haben sich die japanisch-chinesischen Beziehungen weiter abgekühlt.
In politischen Kreisen Tokios gelten Takaichis Worte weniger als bewusster Versuch, rote Linien auszutesten, sondern als Fehltritt unter dem Druck der scharfen Befragung durch den Oppositionsführer der Konstitutionell-Demokratischen Partei, Okada – ein Hinweis darauf, wie groß der Druck auf ihre Minderheitsregierung ist. Seit ihrem Amtsantritt ist sie Xi gegenüber eher vorsichtig aufgetreten, hat sich um stabile bilaterale Beziehungen bemüht und auf erfahrene Berater gestützt; umso stärker stechen ihre Bemerkungen zu Taiwan hervor.
Die sicherheitspolitischen Folgen eines Angriffs auf Taiwan für Japan – angesichts der geografischen Nähe und der US-Militärstützpunkt auf Okinawa – gelten seit Langem als gravierend, doch frühere Premierminister haben es aus Gründen strategischer Ambiguität vermieden, dies offen auszusprechen. Takaichis Fauxpas hat ihren Umfragewerten jedoch nicht geschadet; vielmehr unterstreicht er in den Augen vieler den Bedarf höherer Militärausgaben und könnte ihr sogar helfen, die dafür nötige Zustimmung im Parlament zu gewinnen.
Diese Auseinandersetzung zeigt, dass Japan und Deutschland enger zusammenarbeiten sollten. Denn auch in Deutschland ist Taiwan – zumindest teilweise – Thema in den Beziehungen zu Peking. In den Monaten vor seiner abgesagten Reise nach China sollen Äußerungen von Außenminister Johann Wadephul über das „aggressive Verhalten“ Pekings in der Taiwanstraße für Verärgerung bei chinesischen Gesprächspartnern gesorgt haben. Der Anlass ist zwar ein anderer, doch Peking reagiert in beiden Fällen mit Druck – eine Erfahrung, die Deutschland und Japan nutzen sollten, um gemeinsam belastbareren Umgang mit Peking zu entwickeln.
Die ersten Weichen für eine engere Zusammenarbeit wurden bereits gestellt. 2023 fanden erstmals deutsch-japanische Regierungskonsultationen statt, zudem gibt es einen regelmäßigen Austausch zu Sicherheit und Wirtschaftssicherheit. Die jüngsten Ereignisse liefern auch eine Agenda: den Umgang mit der harschen Rhetorik chinesischer Gesprächspartner, die Abwehr wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen sowie die Frage, wie Peking Drittstaaten – etwa Myanmar – politisch und wirtschaftlich an sich zu binden versucht.
In den deutsch-japanischen Beziehungen gibt es noch viel Luft nach oben. Außen- und sicherheitspolitisch orientiert sich Tokio weiterhin vor allem an den USA – das war nicht zuletzt beim jüngsten Besuch Donald Trumps in Tokio unübersehbar. Wenn Deutschland und Europa als Partner nicht an den Rand gedrängt werden wollen, müssen sie mehr bieten als Austauschformate: konkrete gemeinsame Projekte in Sicherheits-, Technologie- und Wirtschaftspolitik. Beide Demokratien stehen unter wachsendem Druck aus Peking – höchste Zeit, ihre Resilienz zu stärken und diese Partnerschaft mit strategischem Leben zu füllen.