External Publications

Nov 20, 2025

Debatte um Brandmauer: Frankreich zeigt, was passiert, wenn sie fällt

Jacob Ross
Peter R. Neumann
Marine Le Pen,  Bardella, September 2025

In der CDU wird derzeit diskutiert, ob und wie man sich gegenüber der AfD öffnen sollte. Ein Blick ins Nachbarland Frankreich lohnt sich, um mögliche Folgen zu verstehen.

Share

In der CDU wird derzeit intensiv diskutiert, ob man sich gegenüber der AfD öffnen sollte. Doch diese Debatte wird erstaunlich national geführt – fast so, als ginge es dabei nur um deutsche Befindlichkeiten.

Sie blendet aus, dass es anderswo längst Erfahrungen gibt, aus denen man lernen könnte. In praktisch allen europäischen Ländern, in denen Mitte-rechts-Parteien Rechtspopulisten toleriert oder mit ihnen koaliert haben, war der Effekt derselbe.

Sie selbst haben verloren – in vielen Fällen sogar stark. Silvio Berlusconis Forza Italia etwa, einst bei rund 40 Prozent, ist heute mit sechs Prozent nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die Lehre ist klar: Wer Rechtspopulismus will, wählt meist das Original.

Und es gibt ein weiteres, mindestens genauso großes Risiko wie den Stimmenverlust: das der Spaltung. Besonders deutlich wird das an der Entwicklung der französischen Mitte-rechts-Partei Les Républicains, den Erben der großen gaullistischen Tradition, die das Land über Jahrzehnte prägte.

Bardella beruft sich auf die Formel des „Europa der Nationen“

Diese Tradition wird den Konservativen seit einiger Zeit von den Rechtspopulisten des Rassemblement National (RN) streitig gemacht. Ihr Parteivorsitzender, der 30-jährige Jordan Bardella, wirbt offensiv für einen Rückbau der Souveränität – von der europäischen auf die nationale Ebene – und beruft sich dabei auf die gaullistische Formel des „Europas der Nationen“. 2024 gewann er damit die Europawahl, was Präsident Emmanuel Macron zur Auflösung der Nationalversammlung bewog und Neuwahlen auslöste.

Bei diesen zerbrachen die Républicains dann über die Frage des Umgangs mit dem RN. Der damalige Parteivorsitzende, Eric Ciotti, sah die Zeit für ein Bündnis mit der rechtspopulistischen Partei gekommen. Ein Großteil der Abgeordneten entschied sich zwar dagegen und ging stattdessen ein Bündnis mit Macron und dessen Verbündeten ein. Doch einige Getreue folgten Ciotti und gründeten eine neue Fraktion, die Union de la Droite (UDR). Deren Name ist Programm: UDR fordert die Einigung aller Rechten – inklusive des RN.

Warnungen zum Ende des „Cordon Sanitaire“

Bis zur nächsten Präsidentschaftswahl dürfte die gaullistische Rechte in Frankreich ein weiteres Mal zwischen Macrons Mitte-Projekt und den Rechtsaußen des RN zerrissen werden. Von links wird vor dem Ende des „Cordon Sanitaire“ – der französischen Entsprechung zur Brandmauer – gewarnt. Von rechts treiben finanzstarke Unterstützer das UDR-Projekt voran, so zum Beispiel die Milliardäre Vincent Bolloré und Pierre-Edouard Stérin, die viel Geld in die Einigung der Rechten investieren – von der Mitte bis nach ganz außen.

Auch bei der letzten Regierungsumbildung im Oktober haben die Républicains erneut Federn gelassen. Entgegen der Linie des neuen Vorsitzenden, Bruno Retailleau, entschieden sich mehrere Regierungsmitglieder – darunter die prominente Kulturministerin Rachida Dati –, Teil der von Macron dominierten Regierung zu bleiben, und wurden ausgeschlossen. Während die Républicains in den Kommunen und Regionen nach wie vor stark sind, hat sie die Episode auf nationaler Ebene weiter geschwächt.

Und all das geschieht, obwohl die Voraussetzungen für eine Annäherung zwischen Mitte-rechts-Parteien und Rechtspopulisten in Frankreich eigentlich günstiger sind als in Deutschland.

Was Frankreichs RN und die AfD unterscheidet

Im Gegensatz zur AfD hat sich das RN in den letzten zehn Jahren konsequent darum bemüht, sein radikales Image abzubauen. Schritt für Schritt wurden antisemitische und extremistische Strömungen aus der Partei entfernt. Ende der 2010er-Jahre strich man die Forderung nach einem EU-Austritt. Und zuletzt verurteilte die Parteiführung sogar den russischen Angriff auf die Ukraine.

In gewisser Weise hat das RN damit eine entgegengesetzte Entwicklung zur AfD durchlaufen: Während die AfD als liberal-konservative Partei begann und sich im Laufe der Jahre immer stärker radikalisierte, hat sich das RN im selben Zeitraum von seinen extremen Wurzeln gelöst.

Die französische Erfahrung liefert also nur wenig Argumente für eine Annäherung der CDU an rechtspopulistische Kräfte. Ganz im Gegenteil: Trotz einer „moderateren“ rechtspopulistischen Partei hat der Versuch, sich ihr gegenüber zu öffnen, zur Spaltung geführt und könnte weitere Abspaltungen zur Folge haben.

Für Wähler sind die Républicains deshalb kaum noch attraktiv: Bei den Parlamentswahlen Ende Juni erzielte die Partei gerade einmal sieben Prozent – das schlechteste Ergebnis für eine gaullistische Partei seit 1958. Und auch in aktuellen Umfragen schafft es die Partei selten über zehn Prozent.

Wenn überhaupt, dann illustriert die Entwicklung in Frankreich, wie viel für die CDU in Sachen Brandmauer auf dem Spiel steht. Die Zukunft wird zeigen, ob die Partei den Neubeginn als große Volkspartei der Mitte schafft und konservative, liberale und soziale Strömungen miteinander vereinen wird. Oder ob sie sich spaltet – und letztlich, an der Seite einer rechtspopulistischen Partei, in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwindet.

Bibliographic data

Ross, Jacob, and Peter R. Neumann. “Debatte um Brandmauer: Frankreich zeigt, was passiert, wenn sie fällt.” November 2025.

Dieser Beitrag ist ursprünglich am 20.11.2025 im Tagesspiegel erschienen.

Program

Themen & Regionen