Die folgende deutsche Fassung dieses Beitrags, die auf dem englischen Memo basiert, ist erstmalig am 15.8.2025 im Tagesspiegel erschienen.
Der Handelsdeal zwischen der EU und den USA weist den Weg in neue Abhängigkeiten und unterschlägt dabei das reale Potenzial neuer Energietechnologien. Die Trump-Administration scheint auf ganzer Linie gewonnen zu haben; langfristig allerdings untergräbt das Abkommen aber nicht nur das Vertrauen in die transatlantischen Beziehungen, sondern auch die Energiesicherheit auf beiden Seiten des Atlantiks. Die Energie-Deals in dem Abkommen sind „des Kaisers neue Kleider“. Der Kaiser ist nackt.
Die Eckdaten verheißen nichts Gutes: Zölle auf europäische Exportgüter, 600 Milliarden US-Dollar geplante europäische Investitionen in den USA sowie 750 Milliarden US-Dollar amerikanische Energieexporte in die EU während Trumps Amtszeit. Dass Europa trotzdem zustimmt, lässt sich daher nur als Beschwichtigung des unberechenbaren US-Präsidenten und durch eine Verknüpfung mit den Nato-Sicherheitsgarantien erklären. Möglicherweise haben die Europäer aber auch zur Vermeidung neuer konkreter Zölle „weiche“ Ziele verhandelt, die gar nicht eingehalten werden können. Trotzdem schürt das Übereinkommen Unsicherheit.
Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Jahr 2022 ist Europa zum größten Abnehmer amerikanischer Energie geworden, insbesondere von Flüssigerdgas (LNG). Von letzterem gingen 2024 über 40 Prozent nach Europa. Politik und Industrie begrüßten diese Importe bislang als Eckpfeiler ihrer Energiesicherheit. Der Kauf amerikanischer Energieträger bot Europa – insbesondere Deutschland – einen Weg, sich von russischen fossilen Brennstoffen unabhängig zu machen. Bei dieser Entscheidung ging es nicht nur um Versorgungssicherheit, sondern auch um Vertrauen.
Handel zunehmend staatlich gelenkt
Anstatt nun auch zukünftig den Energiehandel den Märkten zu überlassen, würde er durch das Abkommen zunehmend von Washington gesteuert und staatlicher Lenkung unterworfen. Im Jahr 2024 importierte die EU Kohle, Gas und Öl im Wert von insgesamt 374,7 Milliarden Euro, wobei Öl rund 70 Prozent davon ausmachte. Die USA gehören zu den wichtigsten Energielieferanten der EU – im ersten Quartal dieses Jahres kamen 15 Prozent des in der EU konsumierten Öls, 50,7 Prozent des LNG und 31,3 Prozent der Kohleimporte aus den Vereinigten Staaten.
Die neuen Abnahmeverpflichtungen in Höhe von umgerechnet 216 Milliarden EUR pro Jahr würden über Kohle, LNG und Öl abgedeckt werden. Vor allem Ölimporte könnten theoretisch rasch hochgefahren werden, sodass die Hälfte aller EU-Ölimporte bald aus den USA stammen könnte.
Eine solche Konzentration würde die EU abhängig machen von einer Regierung, die eine „Energiedominanz“-Agenda verfolgt. Diese ist bereits zum Kernbestandteil amerikanischer Machtpolitik geworden: in der Lesart konservativer Akteure in den USA ist sie eine strategische Doktrin, die die Energieunabhängigkeit, Versorgungssicherheit und bezahlbare Energie für Amerika „und seine Verbündeten“ sichern soll – wobei letzteres weitestgehend im Unklaren bleibt. Energieexporte sollen verstärkt genutzt werden, um geopolitischen Einfluss auszuüben und globale Energiepreise zu steuern.
Innenpolitische Turbulenzen wegen steigender Energieexporte
Auch für das amerikanische Inland erschließt sich die Logik des Energiedominanz-Paradigmas in diesem Fall nicht. Zwar würden die Renditen fossiler Rohstoffproduzenten signifikant steigen, aber mehr Export verringert auch das heimische Angebot und treibt die Preise. Eine Analyse der US-Energiebehörde (EIA) prognostizierte im Januar einen Anstieg des Henry-Hub-Gaspreises von 2,21 US-Dollar (2022) auf 4,00 US-Dollar bis 2026 – knapp drei Viertel davon aufgrund wachsender LNG-Exporte. Ein solcher Anstieg wäre politisch brisant. Höhere Gaspreise schlagen sich direkt auf Strom- und Heizkosten für Haushalte und Unternehmen nieder. Dies treibt die Inflation und verstärkt wirtschaftliche Unsicherheit, die viele Amerikaner überhaupt erst in Trumps Wahllager trieb.
Es gibt auch Zweifel, ob die neuen Exportziele seitens der USA überhaupt umsetzbar sind, denn entsprechende Kapazitäten fehlen bislang. Die amerikanischen Kohle-, Gas- und Ölexporte beliefen sich 2024 auf insgesamt 318 Milliarden US-Dollar, davon gingen Lieferungen im Wert von 76 Milliarden in die EU. Um die neuen Ziele ohne Ausweitung der Exporte zu erreichen, müssten die USA fast 80 Prozent ihrer Exporte nach Europa umleiten – mit potenziell gravierenden Folgen für andere Verbündete und um den Preis einer risikoreichen Abhängigkeit der USA vom europäischen Markt. Eine Ausweitung der Exportkapazitäten würde mindestens ein Jahrzehnt dauern.
Wirtschaftliche Zwangspolitik untergräbt strategische Autonomie
Unklar ist auch, wie die europäische Wirtschaft auf den „Deal“ reagiert. Unternehmen entscheiden in der Regel frei über Importe und Investitionen; starre staatliche Vorgaben widersprechen den Prinzipien des freien Markts. Staatliche Versorger wie Sefe oder Uniper könnten hier einspringen, dies würde jedoch eine marktbasierte Energiepolitik konterkarieren und die Zielmengen dennoch verfehlen.
Eine transatlantische Partnerschaft lässt sich nicht per Dekret oder durch Ausnutzung von Verwundbarkeiten fortführen. Obwohl die EU bereit ist, ihre Energiesicherheit auf amerikanische Importe zu stützen, schreckt der Zwangscharakter dieses Abkommens die Europäer ab. Der Deal ist auch eine verpasste Chance, der chinesischen Dominanz in den Erneuerbaren-Technologien und ihren Lieferketten transatlantische Initiativen entgegenzusetzen, beispielsweise im Bereich der Rohstoffförderung und -verarbeitung oder der Wasserstoff- und Kreislaufwirtschaft.
Angesichts der Prioritäten von REPowerEU – Energieeinsparung, Diversifizierung der Importquellen, Energieerzeugung auf Grundlage heimischer, vor allem erneuerbarer Energien – sollte das Abkommen daher die Entschlossenheit der Europäer zu strategischer Autonomie in der Energieversorgung festigen.
Mehr Spielraum für China
Der asymmetrische Deal öffnet dagegen wirtschaftliche Spielräume für China. Anders als ein von Trump geführtes Amerika, verfügt China nicht über vergleichbare Hebel in Bezug auf die europäische Sicherheit, aber auch die Kommunistische Partei versucht, geopolitische Macht durch Exportbeschränkungen für Rohstoffe und Technologien auszuüben. Langfristig führen nur eigene europäische Anstrengungen in Bezug auf heimischen Abbau, die Verarbeitung und das Recycling von Rohstoffen zu mehr Energiesouveränität. Die EU muss darüber hinaus eigene Wertschöpfungsketten für erneuerbare Energien und Batterietechnologien aufbauen und Innovationen beschleunigen, um die Abhängigkeit von den USA und China für ihre Energieversorgung zu überwinden.
Der „Deal“ mag auch als letzter Rettungsversuch der alten Energieindustrie in den USA verstanden werden, doch bald werden beide Seiten in der Umsetzung blankziehen müssen.