Report

16. Apr. 2025

Die ersten 90 Tage Trump 2.0

Rachel Tausendfreund
Thomas Kleine-Brockhoff
Dr. Claudia Schmucker
Dr. Aylin Matlé
Dr. Stefan Meister
Michael Laha
Dr. Katja Muñoz
Victoria Rietig
Mechthild Becker
Dr. Erin Pobjie
Donald Trump mit einer Schaufel Erde in der Hand
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Alle Rechte vorbehalten

Dieser Bericht untersucht die ersten 90 Tage der Administration Trump 2.0 und bietet strategische Handlungsempfehlungen für die neue Bundesregierung sowie ihre Partner in Europa und darüber hinaus. In den folgenden Kapiteln analysieren Expert:innen der DGAP die Prioritäten und Methoden von Trumps Regierung in verschiedenen Politikfeldern und erörtern, wie diesen zu begegnen ist.  Das einleitende Kapitel untersucht zunächst die ideologischen Grundlagen der neuen Trump-Koalition und ihre außenpolitischen Implikationen. Es endet mit einer Zusammenfassung zentraler Erkenntnisse und Empfehlungen.

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Vorwort

Dass US-Präsident Donald Trump einen Blitzstart im Amt hingelegt hat, wird niemand bestreiten. Er selbst behauptet, er habe in den wenigen Wochen seiner zweiten Amtszeit mehr verändert als andere Staats- und Regierungschefs während einer ganzen Amtsperiode. Das wird man so stehen lassen dürfen.

Allerdings ist eines genaueren Blickes würdig, was genau er verändert hat, in seinen furiosen Anfangstagen im Amt. Unter Beobachtern macht sich Atemlosigkeit breit. Dauernd muss man in die Zeitung oder ins Internet schauen, um nicht die neueste Wendung, das jüngste Was-denn-nun-schon-wieder zu verpassen. 

Da lohnt es sich, einen Schritt zurückzutreten und die Veränderungen im Kontext zu betrachten. Genau das will diese Publikation der DGAP leisten: Sie will sammeln, analysieren, politische und historische Zusammenhänge aufzeigen und auch bewerten.
Natürlich stehen die Außen- und Außenwirtschaftspolitik im Zentrum. Aber ohne innenpolitische Elemente wird sich die kurze Amtszeit von Trump 2.0 schwerlich verstehen lassen. Da ist einerseits der Versuch, bundesstaatliche Institutionen zu verkleinern, zu schwächen oder ganz aufzulösen. Zudem die Bereitschaft, sich im Verordnungswege über geltendes Recht, manchmal über Verfassungsrecht, hinwegzusetzen. Im Schnitt schreitet seit einigen Wochen alle vier Tage ein Bundesrichter gegen ein Element der Trump’schen Verordnungswelle ein. Für die einen handelt es sich um klare Kompetenzüberschreitungen eines Präsidenten, für die anderen um tolerable Verhaltensweisen im Rahmen der präsidentiellen exekutiven Gewalt.

Was Trump im Inneren der Vereinigten Staaten tut, beeinflusst zwar den Rest der Welt – beginnend bei der Migrationspolitik und nicht endend bei der Klimapolitik. Aber es übersetzt sich nicht derart direkt in die politische Realität anderer Staaten wie die neue Außenpolitik, die Trump und sein Team seit dem 20. Januar 2025 einer perplexen Welt präsentieren. Wer hätte schon erwartet, dass der neue Präsident einen hemisphärischen Imperialismus predigt statt Stärke durch Allianz und dass er das Konzept von Einflusszonen überzeugender findet als jenes der territorialen Integrität? Und obwohl bereits vor der Wahl mit einem Rückzug der US-Unterstützung für die Ukraine zu rechnen war: Es stand keineswegs bei jedem auf dem Spickzettel, dass Trump eine Allianzumkehr und Partnerschaft mit Russland anstreben würde, die auf Kosten der Ukraine und Europas geht. Dass er Strafzölle dem freien und geregelten Handel vorziehen und mehr Rüstung von den Europäern verlangen würde, zählt hingegen zu den erwartbaren Elementen einer radikalisierten Politik. 

Die Europäer werden wohl reagieren, so wie alle, die dieser Politik ausgesetzt sind. Aber vor der Reaktion steht die erste Bilanz. Nach 90 Tagen. Hier, auf diesen Seiten.

 

Einleitung: Das radikale Washington stellt sich der Welt vor

Seit Franklin D. Roosevelt gelten die ersten 100 Tage im Amt als symbolträchtiger Frühindikator für US-Präsidenten. FDR brachte in dieser Anfangsphase eine beispiellose Flut an Rechtsvorschriften zur Bekämpfung der Großen Depression auf den Weg – darunter 15 zentrale Gesetze. Damit setzte er einen bis heute von niemandem erreichten Maßstab für entschlossenes Regierungshandeln – mit Ausnahme, so behaupten es zumindest Donald Trump und seine treuesten Anhänger, von Trump 2.0.

Trump hat seine zweite Amtszeit mit dem erklärten Ziel angetreten, den Eindruck von beispielloser Geschwindigkeit und Produktivität zu vermitteln. In der Tat ist das Tempo der präsidentiellen Erlasse atemlos, aber trotz republikanischer Mehrheiten im US-Senat und Repräsentantenhaus wurden bislang nur wenige Gesetze verabschiedet – von einem finalen Haushalt ganz zu schweigen. Angesichts der regelrechten Salven an normverletzenden und anti-bürokratischen Maßnahmen in den ersten Monaten der von Trump ausgerufenen „Revolution des gesunden Menschenverstands“ erscheint es sinnvoll, den traditionellen 100-Tage-Maßstab aufzugeben und zu verkürzen. In diesem Bericht übernimmt die DGAP somit den von der Administration selbst festgelegten Rahmen einer 90-tägigen Überprüfung, wie von Russell Vought im Office of Management and Budget angeordnet.

Nichts an der Trump-Administration 2.0 ist „politics as usual“. Und doch: So verstörend viele der ersten Maßnahmen und Statements auch für Washingtons europäische Verbündete sein mögen – es gab dafür viele Warnungen und deutliche Anzeichen. Wie vielfach prognostiziert, zeigt sich Trumps zweite Amtszeit deutlich „trumpianischer“: Nachdem er ein Attentat, Verurteilungen und Amtsenthebungsverfahren überstanden hat, um einen noch überwältigenderen Wahlsieg zu erringen, fühlt sich Trump bestärkt. Man könnte sagen, er ist geradezu entfesselt, jetzt, wo sein Kabinett und sein Mitarbeiterstab überwiegend genauso radikal sind wie er und er keine Angst vor einem Aufstand im Kongress haben muss. Aufmerksame Beobachter werden sich daran erinnern, dass Trump bereits während seiner ersten Amtszeit Versuche unternommen hat, Grönland zu erwerben. Dass er jedoch auch Kanada auf seine Wunschliste für territoriale Expansionen gesetzt hat, ist Ausdruck der neuen Dreistigkeit von Trump 2.0.

Regimewechsel: „America First“ Machtpolitik 

Trump hat die traditionelle Koalition der Republikanischen Partei – die Grand Old Party – wesentlich umstrukturiert. Christliche Konservative und marktwirtschaftlich orientierte Libertäre waren lange die tragenden Säulen dieser Allianz. Was Trumps Koalition charakterisiert, ist die Einheit rund um eine Art Anti-Globalismus, sprich einen „America-Firstismus“, sowie die Freude am Tabubruch. Es handelt sich um einen radikalisierten Konservatismus. Auch wenn unter den Anti-Globalisten Trumps einige Differenzen bestehen, eint sie die Skepsis gegenüber den Grundpfeilern der US-Außenpolitik seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Sie zweifeln daran, ob die globale Führungsrolle der USA, ihr Bekenntnis zu multilateralen Institutionen und traditionelle Bündnisse wirklich den Amerikanern dienen.

Trump hat das Ende einer wohlwollenden Systemhegemonie erklärt und setzt stattdessen auf reine Machtpolitik, also das Recht des Stärkeren

Trump hat das Ende einer wohlwollenden Systemhegemonie erklärt und setzt stattdessen auf reine Machtpolitik, also das Recht des Stärkeren. Seine Koalition strebt einen Regimewechsel an – national wie international. Anders als frühere republikanische Regierungen drängt Trump dabei klassische marktliberale, unternehmensfreundliche Konservative beiseite, die traditionelleren Industrien verbunden sind (ungeachtet Trumps Vorliebe für fossile Brennstoffe) sowie gemäßigtere konservative Überzeugungen haben. Obwohl diese „globalistischen“ Republikaner einen großen Teil seiner Wähler und Unterstützer ausmachen, zählen sie für den Präsidenten – ebenso wie traditionelle Medien, Wissenschaft und das überparteiliche außenpolitische Establishment – zum etablierten Regime, das Trumps neue Rechte stürzen will.

Die verschiedenen Lager von Trumps Koalition

In der Trump-Administration gibt es drei dominierende ideologische Lager: die christlichen Nationalisten, die Wirtschaftsnationalisten und die Techno-Rechten. In der Diagnose des alten „Regimes“ sind sich alle weitgehend einig, aber, wie ich weiter unten ausführe, unterscheiden sich ihre Vorstellungen zu dessen Alternative erheblich.

Bevor ich sie beschreibe, ist es erwähnenswert, dass Trump selbst populistischen Nationalismus mit wirtschaftlichem Nationalismus und den Ansichten einer vierten Gruppe verbindet, die in seinem Kabinett gut vertreten ist: die unideologischen Opportunisten. Trumps FBI-Direktor Kash Patel und die Direktorin der nationalen Nachrichtendienste (DNI) Tulsi Gabbard gehören diesem Lager an. Die Opportunisten sind ideologisch flexibel, obwohl sie alle einen regelbrechenden Geist und ein verschwörerisches Misstrauen gegenüber dem Staatsapparat und dem Wissen des Establishments teilen.

Christliche Nationalisten:

Bewahrung der christlich-konservativen Kultur und des Nationalstolzes  

Christliche Nationalisten sind seit langem eine wichtige, aber eher untergeordnete Fraktion innerhalb der Republikanischen Partei. Sie sind in erster Linie mit der religiösen Rechten verbunden und beeinflussen die Politik in Bezug auf Abtreibung, Ehe und Religionsfreiheit, haben sich aber oft dem wirtschaftsliberalen Konservatismus und der neokonservativen Außenpolitik untergeordnet. Mit Trump haben christliche Nationalisten – die sich seiner populistischen America-First-Agenda anschlossen haben – eine zentralere und selbstbewusstere Rolle. Verteidigungsminister Pete Hegseth und Russ Vought, Architekt des Projekts 2025 und jetzt Direktor des Office of Management and Budget (OMB), sind einflussreiche Mitglieder der Trump-Administration aus diesem Lager. Christliche Nationalisten sind nicht immer leicht von ethnischen Nationalisten zu unterscheiden. Beide Gruppen glauben zum Beispiel, dass Masseneinwanderung, insbesondere aus nicht-westlichen oder nicht-christlichen Ländern, das christliche Erbe Amerikas untergräbt und die Säkularisierung oder kulturelle Fragmentierung beschleunigt.

Wirtschaftsnationalisten: 

Bevorzugung der heimischen Industrie und
Souveränität gegenüber der globalen Wirtschaftsintegration 

Die Trump-Koalition unterscheidet sich von den Koalitionen früherer republikanischer Präsidentschaften, weil sie kulturellen Konservatismus, Nationalismus und wirtschaftlichen Protektionismus miteinander verbindet und in den Mittelpunkt stellt. Wirtschaftsnationalisten geben der heimischen Industrie, der nationalen Souveränität und protektionistischen Handelsrichtlinien den Vorrang vor der globalen Wirtschaftsintegration. Ihr Ziel ist es, die nationale Wirtschaft zu stärken, indem sie die Abhängigkeit von ausländischen Waren, Arbeitskräften und Kapital verringern. Zu Trumps Umfeld gehören auch Wirtschaftsnationalisten – Steve Bannon, Robert Lighthizer, Peter Navarro –, die christlich und kulturell konservativ sind (Russ Vought ist beides, sowohl ein wirtschaftlicher als auch christlicher Konservativer). Es gibt jedoch auch linksgerichtete oder leicht abweichende Varianten des Wirtschaftsnationalismus. Nehmen wir zum Beispiel die nationale Sicherheitsvision von Elbridge Colby, Trumps Politikchef im Verteidigungsministerium. Obwohl Colbys Vision ihn näher an Wirtschaftsnationalisten als an Konservative des freien Marktes rückt, ähneln seine Forderungen nach einer Rückverlagerung kritischer Industrien, einer Verringerung der wirtschaftlichen Abhängigkeit von China und einer Stärkung der militärisch-industriellen Kapazität in Wirklichkeit eher der Politik der Biden-Regierung. Es gibt wichtige Unterschiede in Grad und Art der radikalen Wirtschaftsnationalisten, die die US-Wirtschaft mithilfe von Zöllen neugestalten wollen, und einem gezielteren, strategischen Ansatz zur Risikominderung. Dennoch lehnen beide die globale multilaterale Wirtschaftsideologie des freien Marktes ab, die einst die republikanische Politik beherrschte.

Techno-Rechte:

Für Deregulierung und Exekutivgewalt, gegen 
das System 

Der Einfluss der Techno-Rechten innerhalb der Trump-Administration wird durch die Liste der milliardenschweren Investoren aus dem Silicon Valley in Spitzenpositionen der Regierung veranschaulicht. Elon Musk ist der prominenteste unter ihnen, doch es gibt weitere: darunter David O. Sacks, der als Berater für KI und Kryptowährungen fungiert, und Stephen Feinberg, der Nummer zwei im Verteidigungsministerium, was das Engagement der Regierung für die Integration fortschrittlicher Technologien in die Regierungsführung widerspiegelt. Der Mann, der den Aufstieg der Techno-Rechten hinter den Kulissen orchestriert, ist der Gründer und Investor des Silicon Valley, Peter Thiel, der Milliarden in die Unterstützung einer neurechten politischen Szene gepumpt und die Risikokapitalgesellschaft von JD Vance gegründet hat, bevor er dessen politische Karriere unterstützte. Wie ihr Vordenker Thiel ist die Techno-Rechte radikal libertär und setzt sich für eine Politik ein, die Innovation, Deregulierung und einen neuen Ansatz für die globale Führungsrolle der USA priorisiert, bei dem die technologische Vormachtstellung gegenüber traditionellen diplomatischen Kanälen betont wird. Dennoch unterscheidet sich diese Bewegung vom Libertarismus, indem sie eine gestärkte Exekutive – einen „CEO-Präsidenten“ – befürwortet und viele progressive gesellschaftliche Ideen ablehnt. Aufschlussreich ist, dass viele ihrer einflussreichen Akteure, darunter Thiel und Feinberg, in verteidigungsbezogene Technologien investieren und staatliche Militärausgaben unterstützen. Gleichzeitig sehen sie die aufstrebenden Unternehmen des Silicon Valley als Konkurrenz der traditionellen Rüstungsindustrie.

Hervorzuheben ist, dass – beide nationalistischen Lager haben zwar eine populistische nationalistische Botschaft, die einen starken Staat vorsieht, das heißt einen Staat, der eine robuste Industriepolitik entwickeln kann, sowie eine Verteilungs- und Arbeitspolitik, die arbeitenden (insbesondere einheimischen, christlichen) Amerikanern zugutekommt – die Techno-Rechte elitär ist. Sie ist daran interessiert, globale Märkte zu erobern, und befürwortet einen kleinen Staat, der Innovatoren nicht im Weg steht und die von ihnen erwirtschafteten Reichtümer nicht antastet.

Auswirkungen von Trumps ideologischer Koalition und zentrale Erkenntnisse

Die Koalition dieser drei Lager ist bereit und sogar begierig darauf, das internationale System und das westliche Bündnis auf beispiellose Weise auf den Kopf zu stellen, um das alte Regime zu stürzen, sei es im Hinblick auf Ziele der radikalen Deregulierung oder der wirtschaftlichen Souveränität. Da die Vertreter der traditionellen Industrien und der Sicherheitselite weitgehend außen vor sind, ist die Trump-Koalition entschlossen, schmerzhafte Disruptionen und Risiken in Kauf zu nehmen – etwa solche, die sich aus pauschalen globalen Zöllen und Zöllen von über 100 Prozent gegenüber China ergeben. Dennoch: Die größte Unsicherheit für die internationale Gemeinschaft geht von Trump höchstpersönlich aus. Keines der drei oben beschriebenen Lager käme auf die Idee, Kanada zum 51. Bundesstaat machen zu wollen. Trumps Instinkte rund um internationale Politik sind imperialistisch und bar jeder Norm. Gleichzeitig ist er wankelmütig und interessiert sich meist mehr für den Schein als für das Wesentliche. Das bedeutet, dass Trump im Gegensatz zu früheren US-Präsidenten keine klare, kohärente Strategie festlegen und beibehalten wird. Die Politik der zweiten Trump-Regierung wird ein Hin und Her zwischen den strategischen Interessen verschiedener Koalitionsmitglieder und Trumps Instinkten und Launen bleiben.

Für die Verantwortlichen in Berlin heißt es, dass sie in vielen Bereichen vor politischen Herausforderungen stehen werden, die über das Ausmaß der deutschen Zeitenwende von 2022 hinausgehen. Um diese zu bewältigen, muss die neue Bundesregierung entschlossen und flexibel zugleich sein. 

Mit der gebündelten DGAP-Expertise und zentralen Erkenntnissen in verschiedenen Bereichen möchten wir im folgenden Bericht eine erste Orientierungshilfe dafür bieten:

› Handel

Im Gegensatz zu ihrer mangelnden Vorbereitung bezüglich vieler anderer Herausforderungen war die Europäische Kommission auf die Auslösung neuer Handelskriege durch Trump vorbereitet. Als Reaktion auf seine erste Amtszeit hatte sie bereits Gegenmaßnahmen entwickelt und im Oktober 2023 das Anti-Coercion-Instrument verabschiedet, um die Handlungsfähigkeit der EU zu verbessern. Da die Auswirkungen von Trumps sogenanntem „Liberation Day“, dem „Tag der Befreiung“ durch beispiellose Zölle, gefolgt von einer teilweisen Rücknahme der Maßnahmen, die globalen Märkte weiterhin erschüttert, wird Berlin dazu beitragen müssen, die Bemühungen zur Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und zur Stärkung des gefährdeten internationalen Handelssystems voranzutreiben.

› NATO

Die Auflösung der Ampelkoalition kurz nach der US-Wahl hat verhindert, dass sich Berlin optimal auf die Herausforderungen für die europäische Verteidigung durch Trump 2.0 vorbereiten konnte. Doch das neue massive Ausgabenpaket Deutschlands und der ReArm-Plan der EU sind wichtige Beiträge zur Verbesserung der europäischen Sicherheitskapazität. Zu den nächsten Schritten müssen eine gestraffte und koordinierte Beschaffung sowie die Europäisierung des Verteidigungsmarktes gehören.

› Russland

Die radikale Wende in der Haltung Washingtons gegenüber der Ukraine und Russland überraschte selbst das bereits misstrauische Berlin beziehungsweise Europa. Die neue Bundesregierung muss mit ihren europäischen Partnern zusammenarbeiten, um die europäische Säule der NATO zu stärken. Gleichzeitig sollte sie dem Drängen der Trump-Regierung auf eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland widerstehen und stattdessen eine Politik fortsetzen, die Russland in seiner Nachbarschaft schwächt.

› China

Deutschland hatte in den ersten Wochen der Trump-Administration mit harten Maßnahmen der USA gegenüber China gerechnet. Stattdessen nahm die neue Regierung traditionelle Verbündete ins Visier – mit entsprechenden Folgen, die Berlin abfedern musste. Obwohl die neue Bundesregierung die transatlantische Partnerschaft ausdrücklich unterstützt, strebt sie ein Gleichgewicht zwischen der Zusammenarbeit mit China in globalen Fragen und einer De-Risking-Strategie an. Um Washington wirkungsvoll einzubinden, dürfte Berlin zunehmend unter Druck geraten, seinen Kurs gegenüber China zu verschärfen.

› KI

Aufgrund der Folgen jahrelanger Unterinvestitionen in die technologische Souveränität und KI waren Deutschland und Europa auf Trumps aggressive KI-Deregulierungsagenda nur unzureichend vorbereitet. Dennoch zeigt die europäische Antwort eine starke regulatorische Entschlossenheit und eine bemerkenswerte finanzielle Mobilisierung: Sie passt ihre Strategien aktiv an, um technologische Abhängigkeiten, EU-weite regulatorische Unterschiede und den Wettbewerbsdruck aus den Vereinigten Staaten anzugehen.

› Migration

Bisher wurden die radikalen und vielfältigen Maßnahmen der Trump-Regierung in Bezug auf Migration von Berlin überwiegend stillschweigend aufgenommen. Obwohl die neue Große Koalition konservativer ist als ihre Vorgängerin, sollte sie sich davor hüten, den Abschreckungsansatz Washingtons zu kopieren. Sie wird der EU dabei helfen müssen, ihre eigene Resilienz gegenüber Migration zu verbessern, und könnte damit beginnen, das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) umzusetzen.

› Klima

Die Klimapolitik von Trump 2.0 wurde in Berlin kritisch aufgenommen, kam aber nicht unerwartet. Aufgrund der Neuwahlen in Deutschland reagierte die hiesige Politik zwar nur langsam, dafür aber signalisierte die EU, dass sie weiterhin ehrgeizige Klimaziele verfolgen werde. Die künftige Bundesregierung sollte dazu beitragen, dass Europa bei Klimamaßnahmen mit gutem Beispiel vorangeht, und die Gelegenheit nutzen, Partnerschaften für die globale Energie-wende zu vertiefen.

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Handelspolitik: 

Der Zoll-Präsident untergräbt den Welthandel

 

US-Präsident Donald Trump ist der Ansicht, dass der Handel neu strukturiert werden muss. Seiner Meinung nach haben die Vereinigten Staaten ihre Zölle seit dem Zweiten Weltkrieg drastisch gesenkt, auch um den Wiederaufbau Europas zu unterstützen. Seitdem hätten andere Länder jedoch ihre Zollmauern beibehalten und den offenen US-Markt ausgenutzt. Deshalb verkündete Trump am 2. April 2025 – seinem „Tag der Befreiung“ – neue, sogenannte reziproke Zölle gegen fast alle Länder, mit denen die Vereinigten Staaten Handel treiben. Am 5. April setzte er einen globalen Basiszoll von 10 Prozent in Kraft. Darüber hinaus erhöhte er am 9. April weitere Zölle für eine Reihe von Handelspartnern, die er später wieder für 90 Tage pausierte. Die höheren Zölle wurden durch eine willkürliche Berechnung festgelegt, bei der die Handelsdefizite durch Importe geteilt wurden. Für die EU führte dies zu einem neuen Zoll von 20 Prozent, obwohl ihr Leistungsbilanzdefizit gegenüber den Vereinigten Staaten nahezu ausgeglichen ist und der durchschnittliche EU-Zoll nur geringfügig höher ist als der der USA.

Darüber hinaus will Trump weitere Zölle auf fünf Sektoren erheben, die auch BIG 5 genannt werden. Dazu zählen Stahl, Autos, pharmazeutische Produkte, Halbleiter und Holz. In diesem Bereich soll die US-amerikanische Industrieproduktion gefördert und geschützt werden.

Deutschland ist dabei besonders anfällig. Im Jahr 2024 stieg der Handelsüberschuss mit den Vereinigten Staaten auf 70 Milliarden Euro, ein deutlicher Anstieg gegenüber dem bisherigen Rekord von 63 Milliarden Euro im Jahr 2023. Darüber hinaus fokussiert sich Trump auch insbesondere auf den Automobilsektor, und hier stehen deutsche Luxusautos im Fokus. Trump erwähnt häufig den transatlantischen Zollunterschied in diesem Sektor: Während Autoimporte nach Europa einem Zoll von 10 Prozent unterliegen, erheben die Vereinigten Staaten nur 2,5 Prozent. (Trump erwähnt dabei nicht, dass die USA einen Zoll von 25 Prozent auf „leichte Nutzfahrzeugel erheben.) Bereits am 26. März kündigte der US-Präsident hohe Zölle auf Autos und Autoteile an. Die Zölle von 25 Prozent auf Autos traten wie geplant am 3. April in Kraft. Die Zölle für den Import von Autoteilen sollen Anfang Mai eingeführt werden.

Aber weitere Sektoren sollen folgen. Bereits am 12. März hat Trump Zölle in Höhe von 25 Prozent auf alle Stahl- und Aluminiumimporte verhängt. Diese gelten ausnahmslos für alle Länder, auch für die EU. Dazu drohen Europa und Deutschland weitere mögliche Zölle, um Steuern zu verhindern (digitale Dienstleistungen), Regulierungen zu stoppen (Digital Markets Act, Digital Services Act), politische Ziele zu erreichen (Sicherheitsausgaben) und einfach Einnahmen zu erzielen.

Europa ist mit Gegenmaßnahmen gut vorbereitet, aber das Ausmaß ist besorgniserregend

Aufgrund der Handelskonflikte, die bereits während Trumps erster Amtszeit stattfanden, sind Deutschland und Europa diesmal besser vorbereitet. Dennoch könnte die Zollpolitik von Trump 2.0 einen Handelskrieg von beispiellosem Ausmaß auslösen und damit das gesamte regelbasierte Handelssystem gefährden, das nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde.

Die ersten US-Zölle, die die EU betrafen, waren die Stahl- und Aluminiumzölle, die Trump am 12. März wieder eingeführt hat. Dies ist eine Maßnahme, die der EU bekannt ist, da die Zölle erstmalig von Trump im März 2018 verhängt wurden. Sie basierten auf (angeblichen) nationalen Sicherheitsbedenken, die auf Abschnitt 232 des Trade Expansion Act von 1962 basieren. Damals erklärte die EU zu Recht, dass es sich bei diesen Zöllen um Schutzmaßnahmen handelt, die nicht mit der nationalen Sicherheit zusammenhängen. Sie leitete daher ein WTO-Streitschlichtungsverfahren ein. Im Jahr 2018 erhob die EU auch Gegenzölle auf der Basis ihrer Durchsetzungsverordnung, die auf sensible amerikanische Produkte wie Whiskey oder Harley-Davidson-Motorräder abzielten. Während der Biden-Regierung wurde eine politische Lösung gefunden, beide Seiten setzten ihre Zölle aus. Da Washington nun die alten Zölle wieder eingeführt hat, kann auch die EU ihre alten Gegenzölle wieder aktivieren oder sogar erhöhen (zum Redaktionsschluss dieses Beitrags sind diese für 90 Tage ausgesetzt).

Als Reaktion auf Trumps Plan für reziproke Zölle hat sich die EU für eine zweigleisige Strategie entschieden. Zunächst reiste der EU-Kommissar für Handel und Wirtschaftssicherheit, Maroš Šefčovič, nach Washington, um der Trump-Administration Angebote zu unterbreiten, die auf Trumps transaktionalen Ansatz in der Handelspolitik abzielen. Diese Angebote bezogen sich unter anderem auf verstärkte Käufe von Flüssiggas (LNG) und möglicherweise auch Wasserstoff. Darüber hinaus schlug Šefčovič vor, dass die EU ihre Autozölle – oder beide ihre gesamten Industriezölle – senken könnte, um dem reziproken Ansatz von Trump zu entsprechen.

Zweitens: Die Basiszölle in Höhe von 10 Prozent traten am 5. April in Kraft und die reziproken Zölle sind zunächst ausgesetzt. Auch hier sind die EU und Deutschland vorbereitet, wenn die Verhandlungen scheitern. Als Antwort auf Trumps Vorgehen während seiner ersten Amtszeit schuf die EU das „Anti-CoercionInstrument“, das im Dezember 2023 in Kraft trat. Damit kann die EU schnell handeln, sobald man sich geeinigt hat, dass ein Fall von Nötigung vorliegt. In diesem Fall genügt eine qualifizierte Mehrheit im Rat, um Zölle, Beschränkungen des Dienstleistungshandels und handelsbezogener Aspekte des geistigen Eigentums sowie Beschränkungen des Zugangs zu Investitionen und öffentlichen Aufträgen zu verhängen.

Was Deutschland tun sollte: Drei strategische Prioritäten auf EU-Ebene vorantreiben

Im gegenwärtigen, konfliktreichen Umfeld, das durch eine starke „America First“-Politik einerseits und ein zunehmend aggressives China andererseits geprägt ist, müssen Deutschland und seine Partner in der EU in den nächsten zwei Jahren an drei strategischen Prioritäten arbeiten:

  1. Die EU muss die Resilienz der europäischen Wirtschaft stärken, indem sie ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit verbessert. Die wichtigsten Handelspartner für europäische Länder sind andere europäische Partner und somit ist ein starker Binnenmarkt wichtig. Daher muss die EU den gemeinsamen Markt für Dienstleistungen, Energie und den digitalen Bereich vollenden. Die Empfehlungen des Draghi-Berichts über die Wettbewerbsfähigkeit der EU sollten so schnell wie möglich umgesetzt werden.
  2. Die EU muss nach neuen Partnern suchen, um das liberale Handelssystem zu unterstützen und einen Rückfall zum machtbasierten Handel verhindern. Weder die Vereinigten Staaten noch China sind derzeit geeignete Partner. Folglich muss die EU in der WTO nach gleichgesinnten Mittelmächten suchen, um Handelsliberalisierung, moderne Handelsregeln, einschließlich Nachhaltigkeitsfragen, den Bereich des digitalen Handels, sowie die Reform des globalen Handelssystems voranzutreiben. Die EU verfügt über ein (fast) weltweites Netz von Freihandelsabkommen und verhandelt derzeit mit weiteren Ländern in Asien. Ein solches Netz an Abkommen kann als wichtige Grundlage für die künftige Zusammenarbeit in den oben genannten Fragen dienen.
  3. Die EU muss auf Zwangsmaßnahmen stark und einheitlich, aber auch angemessen reagieren. Die entsprechenden Handelsinstrumente sind vorhanden, müssen jedoch von der EU WTO-konform angewendet werden. Um eine größere Wirkung zu erzielen, ist es sinnvoll, nach gleichgesinnten Partnern zu suchen und eine gemeinsame Reaktion zu koordinieren. Zu den potenziellen Partnern gehören sechs der G7-Länder, darunter auch Kanada und Japan, sowie Australien, Südkorea und andere.

Protektionismus und Handelsfragmentierung schaden vor allem kleineren Entwicklungsländern. Daher sollte die EU zusätzlich zu den drei oben genannten kurzfristigen Zielen auch das längerfristige Ziel verfolgen, das regelbasierte Handelssystem über die nächsten vier Jahre zu retten. Sie sollte eine Koalition der Willigen vorantreiben, die sich zur Einhaltung der globalen Handelsregeln verpflichtet.

 

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Sicherheitspolitik – NATO:

Trumps wankende NATO-Politik

Trotz anderslautender Gerüchte und zum Teil polternder Rhetorik hat die Trump-Regierung bislang keine Entscheidungen getroffen, die darauf hindeuten, dass sie ihre europäischen Verbündeten vollständig im Stich lassen würde. Gleichzeitig haben ranghohe Mitglieder mit ihren Äußerungen einen Hinweis darauf gegeben, in welche Richtung sich die US-NATO-Politik entwickeln könnte. So hat Verteidigungsminister Pete Hegseth bei einem Treffen in Brüssel Mitte Februar erklärt, dass die USA den Indo-Pazifik-Raum priorisieren würden und daher „die Gewährleistung der europäischen Sicherheit zum Großteil bei den europäischen Mitgliedern der NATO“ liege. Er machte deutlich, die USA erwarteten, dass ihre europäischen Partner den Großteil der konventionellen Abschreckung und Verteidigung für Europa selbst übernehmen. Gleichzeitig betonte der Verteidigungsminister, dass „die Vereinigten Staaten weiterhin zum NATO-Bündnis und zur Verteidigungspartnerschaft mit Europa stehen“ – mit dem Vorbehalt, dass die Europäer erheblich mehr zu ihrer eigenen Verteidigung beitragen müssten. Auch Außenminister Marco Rubio bekräftigte im Namen der US-Regierung bei einem Treffen in Brüssel Anfang April das NATO-Bekenntnis, allerdings ebenfalls mit dem Hinweis, die Europäer müssten ihre Verteidigungsbudgets deutlich anheben. Verteidigungsminister Hegseth hat zudem die Bedeutung der US-Truppenpräsenz in Europa unterstrichen und stellte vorerst keine Pläne für einen nennenswerten Rückzug vor. Auch Präsident Trump hat einen Truppenabzug aus Europa bislang bestritten – etwa im Rahmen eines möglichen Abkommens der USA mit Russland zum Thema Ukraine. 

Die ersten 90 Tage von Trumps zweiter Amtszeit haben keine wesentlichen Veränderungen in der NATO-Politik Washingtons gebracht. Doch Aussagen wie unter anderem die oben beschriebene Rhetorik deuten darauf hin, dass die USA die Drohung eines Rückzugs möglicherweise als Strategie einsetzen, um die NATO-Verbündeten unter Druck zu setzen. Das Schreckgespenst eines Rückzugs könnte dazu dienen, Trumps Forderungen hinsichtlich höherer Verteidigungsausgaben und einer Umgestaltung der Lastenteilung innerhalb des Bündnisses zu forcieren.

Europa wurde überrascht, reagiert aber entschlossen

Als Reaktion auf die Unsicherheiten, die durch Äußerungen und Maßnahmen der Trump-Regierung – insbesondere im Hinblick auf die Ukraine und Trumps Großmachtgehabe – geweckt wurden, hat das deutsche Parlament eine bedeutende Änderung zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben eingebracht: Am 18. März verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, das Verteidigungsausgaben über ein Prozent des BIP von der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse ausnimmt und so der nächsten Regierung erheblichen Spielraum für zusätzliche Ausgaben verschafft. 

Deutschland sollte seine europäischen Partner dazu bewegen, die Integration der Streitkräfte über EU und NATO-Mitgliedstaaten hinausgehend zu priorisieren

Auch die EU war nicht untätig. Am 4. März stellte die Europäische Kommission den ReArm-Europe-Plan vor, der unter anderem die Aktivierung der Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts vorsieht. Diese erlaubt es den Mitgliedstaaten, mehr in die Verteidigung zu investieren, ohne gegen Defizitregeln zu verstoßen. Deutschland und andere EU-Mitgliedstaaten scheinen von Trumps allgemeinen sicherheits- und verteidigungspolitischen Aussagen ebenso überrascht worden zu sein wie von Hegseths konkreten Ausführungen zur NATO. Die von Berlin und Brüssel ergriffenen Maßnahmen sind dennoch bemerkenswert entschlossen.

Was Deutschland tun sollte: Europäische Koordination zügig vorantreiben

Deutschland sollte drei Schritte unternehmen, um nicht nur den Risiken durch Trumps veränderte und zum Teil unklare NATO-Haltung, sondern auch den zunehmenden sicherheitspolitischen Herausforderungen Europas zu begegnen.

  1. Beschaffungsplanung auf NATO-Fähigkeitsziele ausrichten. Deutschland muss seine Beschaf-
fungspläne mit den durch den NATO-Verteidigungsplanungsprozess festgelegten Fähigkeitszielen und Anforderungen in Einklang bringen – diese sind eng mit der Umsetzung der regionalen NATO-Verteidigungspläne verknüpft. Da die NATO derzeit damit beschäftigt ist, diese Ziele an ihre Mitglieder zu vergeben, sollte Berlin vorausschauend planen, welche Systeme konkret angeschafft werden sollen, um die Vorgaben zu erfüllen. Diese nationale Planung sollte von der neuen Bundesregierung eng mit europäischen Partnern koordiniert werden – insbesondere innerhalb der „Group of Five“ (GoF), also Deutschland, Frankreich, Italien, Polen und das Vereinigte Königreich. Teil dieser Koordination sollte auch die Entwicklung von Plänen sein, wie US-Fähigkeiten und Truppen in Europa im Bedarfsfall ergänzt oder gar ersetzt werden könnten. Darüber hinaus sollte Deutschland die GoF dazu drängen, kurzfristig Pläne zur Stärkung der östlichen NATO-Flanke – insbesondere im Baltikum – zu erarbeiten. Diese könnten schnell notwendig werden, falls die Wahrscheinlichkeit eines russischen Angriffs schneller steigt als bisher angenommen.
  2. Umsetzung der Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie priorisieren. Deutschlands derzeitige Beschaffungsprozesse sind kostspielig, unter anderem wegen geringer Stückzahlen, die zu höheren Preisen pro Einheit führen. Trotz stabiler Haushaltsmittel zeigt Deutschland bislang nur begrenzte Ambitionen in diesem Bereich. Währenddessen hat Russland seine Produktionskapazitäten derart ausgeweitet, dass es Berichten zufolge innerhalb von sechs Monaten die Bestände der Bundeswehr produzieren könnte. Zur Bewältigung dieser Herausforderungen hat die Ampelkoalition im Dezember 2024 die Nationale Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie beschlossen. Sie sieht unter anderem vor, Vorausbestellungen für die Streitkräfte über das nächste Jahrzehnt, feste Abnahmemengen und Vorauszahlungen zu ermöglichen. Zudem unterstützt sie eine Stärkung der Rolle der Europäischen Investitionsbank im Bereich Sicherheit und Verteidigung. Wird die Strategie umgesetzt, könnte dies die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands erheblich steigern. Die neue Bundesregierung sollte deren Umsetzung daher zügig vorantreiben und gleichzeitig den Aufbau eines europäischen Verteidigungsmarkts fördern.
  3. EU-Streitkräfte integrieren Deutschland sollte seine europäischen Partner dazu bewegen, die Integration der Streitkräfte über EU- und NATO-Mitgliedstaaten hinausgehend zu priorisieren. Bisher wurden die Integrationsbemühungen einzelner europäischer Länder nur selten unter realen Einsatzbedingungen getestet. Doch Integration – und regelmäßige Tests ihres Fortschritts – sollten angesichts der gegenwärtigen und absehbaren sicherheitspolitischen Herausforderungen das Maß der Dinge sein.

Die künftige Truppenintegration sollte permanente multinationale Formationen umfassen, in deren Zentrum nationale Brigaden stehen, die gemeinsam trainieren und operieren. Dieses Vorgehen fördert die Harmonisierung von Doktrin und Ausrüstung der beteiligten Länder. Es entspricht zudem dem NATO-Force-Modell (NFM), das im Juni 2022 nach dem russischen Großangriff auf die Ukraine eingeführt wurde.

 

 

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Russland & Ukraine: 

Trump wechselt die Seiten: Kooperation mit Russland, Schwächung der Ukraine

 

Donald Trumps Wiederwahl ist im Verhältnis zu seiner ersten Amtszeit eine Zäsur: mit Blick auf die transatlantischen Beziehungen, das Verhältnis zu Russland und die Unterstützung der USA für die Ukraine. Nicht nur, dass die Trump-Administration die Sicherheitsgarantien für Europa infrage stellt und damit die US-Rolle in der NATO. Das Weiße Haus versucht, die Beziehungen zu Russland zu normalisieren und sieht dabei die Ukraine als Hindernis. Durch massiven politischen Druck will Trump offenbar die Ukraine in einen Kapitulationsfrieden drängen, während er gleichzeitig Zugeständnisse an Russland unterbreitet, ohne dass der Kreml seinerseits Konzessionen machen soll. Dazu zählen die Absage an einen NATO-Beitritt der Ukraine sowie an Sicherheitsgarantien der USA für ein Waffenstillstandsabkommen, aber auch Druck auf die Ukraine, Territorium dauerhaft aufzugeben. Dabei sollen weder die Ukraine noch die europäischen Partnerländer an Verhandlungen mit der russischen Führung beteiligt werden. Trump ist darauf fokussiert, sich mit Putin persönlich zu treffen und einen „Deal“ zu machen.

Das Vorgehen der Trump-Administration zielt auf Russlands Unterstützung für – aus ihrer Sicht – strategisch wichtigere Fragen ab, darunter für den Nahen Osten und Iran sowie vor allem China. Akteure im Umfeld des US-Präsidenten scheinen zu glauben, dass Russland die Seiten wechseln und bei der Schwächung Chinas helfen könnte. Dies aber ist aufgrund gemeinsamer Interessen der beiden autoritären Staaten, etwa in Bezug auf Rohstoffgeschäfte, technologische Abhängigkeit und vor allem ihre Rivalität mit den USA, höchst unwahrscheinlich. Dennoch scheint die US-Führung dazu bereit zu sein, die Ukraine de facto an Russland auszuliefern und den Verlust ihrer Souveränität in Kauf zu nehmen. Zeitweise hat die Trump-Administration Waffenlieferungen an die Ukraine sowie das Teilen von Geheimdienstinformationen ausgesetzt, um das Land in Verhandlungen zu zwingen und ein Abkommen über die Ausbeutung seltener Erden durch US-Firmen zu erpressen. Dies hat dazu geführt, dass die Ukraine in kürzester Zeit hunderte von Soldaten in der Region Kursk verloren hat und letztlich den Verlust der gesamten Region hinnehmen musste.

Europäische Zeitenwende: jetzt doch

Deutschland und die EU haben zwar im Fall eines erneuten Wahlsiegs von Donald Trump mit Konflikten gerechnet, waren jedoch nicht auf diese radikale Wende der US-Politik vorbereitet. Sie müssen nun nicht nur so schnell und umfassend wie möglich in die eigene Sicherheit investieren, sondern auch die Unterstützung für die Ukraine – militärisch und finanziell – umfassender und schneller ausbauen. Die voraussichtlich bald amtierende Große Koalition aus CDU und SPD hat ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro in Aussicht gestellt, mit massiven Investitionen in die Infrastruktur und die Verteidigung. Damit verbunden ist auch eine höhere militärische und finanzielle Unterstützung der Ukraine, die über die aktuell diskutierten drei Milliarden Euro in diesem Jahr bisher noch nicht weiter spezifiziert worden ist. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen plant mithilfe der EU-Mitgliedstaaten, bis zu 800 Milliarden in die europäische Verteidigung zu investieren. 

Um mögliche Blockaden von Ungarn und der Slowakei zu umgehen, sollte dazu eine Koalition der Willigen organisiert werden, die unter anderem auch Großbritannien, Norwegen und Kanada einbezieht. Mittel in dieser Höhe wären nicht nur ein substanzieller Schub für die europäische Verteidigung und die Fähigkeit Europas, eine relevante Rolle für die eigene Sicherheit zu spielen, sondern ein Zeichen von europäischer Verantwortung für die Ukraine. Kurz: Es wäre eine echte Zeitenwende für die deutsche und europäische Sicherheits- und Ukraine-Politik.

Deutschland und die EU müssen nun nicht nur so schnell und umfassend wie möglich in die eigene Sicherheit investieren, sondern auch die Unterstützung für die Ukraine ausbauen

In Berlin, Brüssel und einigen EU-Mitgliedstaaten wird weiterhin diskutiert, Sanktionen gegenüber Russland auszubauen und die militärische Produktion nicht nur zu europäisieren, sondern auch in stärkerer Kooperation mit der Ukraine voranzutreiben. Da die künftige Bundesregierung zu Beginn von Trumps turbulenter zweiter Amtszeit selbst noch nicht die Regierungsgeschäfte übernommen hatte, nimmt Deutschland derzeit noch keine Führungsrolle bei der Reaktion auf die US-Politik ein. Diese Position haben aktuell Großbritannien und Frankreich, die die Ukraine an den Verhandlungstisch geholt haben, um über ihre militärische Stärkung zu diskutieren. Dazu gehören auch Gespräche über Sicherheitsgarantien und europäische Truppen an der Kontaktlinie, die einen Waffenstillstand absichern könnten. 

Was Deutschland für seine und Europas Sicherheit tun sollte

Die neue Bundesregierung sollte sich, sobald sie im Amt ist, dringend an dieser Debatte führend beteiligen. 

  1. Deutschland muss in die Stärkung des europäischen Flügels der NATO und damit in die eigene Verteidigung investieren. Dies sollte in enger Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern, allen voran Frankreich, Großbritannien und Polen geschehen.  
  2. Die Bundesregierung sollte sich in einer Übergangszeit für den Erhalt von US-Sicherheitsgarantien, Investitionen in US-Ausrüstung einsetzen sowie weitere Unterstützung der Ukraine mit Washington koordinieren. Zudem sollte Deutschland gemeinsam mit den europäischen Partnern die eigene Militärindustrie stärken, um sich auf das mögliche Ende von US-Sicherheitsgarantien vorzubereiten.
  3. Deutsche und europäische Politik muss zudem darauf abzielen, Moskau systematisch in seiner Nachbarschaft zu schwächen – durch stärkere Investitionen in die Konnektivität, Wirtschaft und Sicherheit der postsowjetischen Staaten. Langfristig kann nur ein einschneidender Regimewechsel in Russland zu Frieden in Europa führen.
     

Fazit: Sowohl die Investitionspakete für Europa als auch für Deutschland müssen zum Aufbau einer europäischen Verteidigungsindustrie führen. Sie helfen Europa, unabhängiger von den USA zu werden und gleichzeitig als stärkerer Partner an der Seite Washingtons in anderen Kontexten zu agieren. Gleichzeitig muss die Ukraine in das europäische Verteidigungs- und Sicherheitssystem integriert werden und deutsche Firmen eine enge Kooperation mit der Ukraine bei der Produktion von Waffen und Drohnen eingehen. Nur so kann Europa seine Sicherheit und den Frieden auf dem Kontinent in die eigene Hand nehmen. 

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China: 

Die China-Politik von Trump 2.0 einordnen

 

Eine klare China-Strategie der Trump-Administration 2.0 ist bislang nicht erkennbar. Trumps wichtigste politische Ernennungen umfassen bisher einerseits Berater, die eine effiziente Regierungsarbeit propagieren und andererseits traditionelle, republikanische China-Falken (vgl. die Analyse von Rachel Tausendfreund). Als Folge zahlreicher Personalwechsel und einer sich ständig ändernden Mischung aus China-Falken und Beratern mit anderen Prioritäten ist es schwierig zu beurteilen, wer die China-Politik der Trump-Regierung steuert und in welche Richtung sie sich wahrscheinlich entwickeln wird. Trotz dieser dynamischen Situation sind einige zentrale politische Ankündigungen seit Trumps Amtseinführung bemerkenswert.

Technologiepartnerschaften: Eines der wichtigsten Dokumente der Trump 2.0-Administration ist die America First Investment Policy. Diese signalisiert Offenheit für Partnerschaften, vor allem hinsichtlich Investitionen in Schlüsseltechnologien. Allerdings ist diese Offenheit an Bedingungen geknüpft. Sie soll „in dem Maße nachlassen, wie sich ihre Distanzierung und Unabhängigkeit von aggressiven Investitions- und Technologieerwerbspraktiken der Volksrepublik China sowie anderer ausländischer Gegner oder Bedrohungsakteure äußert.“ Im Vergleich zu Bidens Ansatz ist dies eine direktere Beschreibung dessen, wie Verbündete und Partner ihre Beziehungen zu China gestalten sollen. Kurz: Trump möchte Partner mit weniger engen Beziehungen zu China willkommen heißen und diejenigen stigmatisieren, die enge Beziehungen zum Land unterhalten.

Globaler Handel: Während die meisten Beobachter erwartet haben, dass Trump seine Amtszeit mit konfrontativen Maßnahmen gegen China einleiten würde, richteten sich die ersten großen Zölle in Wirklichkeit zunächst gegen enge Partner und Verbündete. Dies änderte sich allerdings sehr schnell, als seine Regierung Anfang Februar 2025 eine ganze Reihe von Exekutivanordnungen zur Korrektur von angeblichen Handelsungleichgewichten unterzeichnete, die teilweise als Antwort auf die Fentanyl-Krise präsentiert wurden.

Diese Anordnungen und folgenden Änderungen führten zu einem Zoll von 10 Prozent auf alle chinesischen Importe und zur Aufhebung der De-minimis-Regelung, die Importe mit geringem Wert von Zöllen befreit. Nachfolgende Zölle auf chinesische Importe – zuletzt auch als Reaktion auf Chinas Vergeltungszölle – gipfelten am sogenannten „Tag der Befreiung“ in einem erstaunlichen Zollsatz von 104 Prozent gegen China. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrags hat Trump zwar seinen Kurs geändert und die „reziproken“ Zölle gegen die meisten Länder zurückgenommen, kündigte jedoch an, die Zölle gegenüber China beizubehalten und auf 125 Prozent zu erhöhen.

Sicherheit: Die Versuche der Trump-Regierung, eine Lösung für Russlands Krieg gegen die Ukraine zu bieten, scheinen von dem dringenden Bedürfnis geprägt zu sein, die Abschreckung im indopazifischen Raum zu stärken. Als maßgebliche Grundlage für das neue sicherheitspolitische Denken des Verteidigungsministeriums wird der Bericht der Heritage Foundation vom Sommer 2024 eingestuft. Darin heißt es: „Das US-Militär ist nicht mehr in der Lage, China effektiv abzuschrecken. Das Risiko eines dritten Weltkriegs steigt. Um dies zu ändern, schlägt der vorliegende Bericht eine neue Verteidigungsstrategie vor: Im Rahmen dieser Strategie würde das amerikanische Militär der Verteidigung des US-Staatsgebiets und der Abwehr der imperialen Ambitionen Chinas Vorrang einräumen – allen voran durch Abschreckung eines Angriffs auf Taiwan. Gleichzeitig würde Washington Verbündete und Partner dazu befähigen, die Verteidigung gegen Russland, Iran und Nordkorea mit gezielter, aber begrenzter US-Unterstützung anzuführen.“

Als ersten Schritt in diese Richtung besuchte US-Verteidigungsminister Pete Hegseth am 30. März 2025 Japan, um die Aufwertung der US-japanischen Streitkräfte zu einem gemeinsamen Hauptquartier zu feiern – ein Schritt, der darauf abzielt, die „Abschreckung im Indopazifik wiederherzustellen“. Am 1. April 2025 begann China, wahrscheinlich als Reaktion auf Hegseths Besuch, Militärmanöver in der Nähe von Taiwan.

Wie Deutschland bisher auf Trumps China-Politik reagiert hat

Trotz des berechtigten deutschen Entsetzens über den bedeutenden transatlantischen Bruch durch die Trump-Regierung hat die zukünftige deutsche Koalitionsregierung den Wunsch geäußert, die transatlantische Partnerschaft mit den USA aufrechtzuerhalten. In ihrem Koalitionsvertrag bekundet sie auch ihre Absicht, weiterhin eine Partnerschaft mit China in Fragen, die die „Menschheit“ betreffen, fortzuführen, während sie gleichzeitig Deutschlands De-Risking-Strategie weiterverfolgen will. Die deutsche Reaktion auf Trump 2.0 hatte zudem eine Reihe von Aufrüstungsinitiativen zur Folge, die – sollten sie umgesetzt werden – zu einer größeren europäischen Lastenteilung sowie zu einem höheren Maß an Souveränität gegenüber den USA und China führen würden.

Die meisten deutschen Akteure aus Politik und Wirtschaft verfolgen die weiteren Eskalationsschritte, die die USA unternehmen könnten, bislang kaum. Dabei verfügt die US-Regierung über ein besonders wirkungsvolles Instrument: die Aussetzung des Status der „permanenten normalen Handelsbeziehungen“ (PNTR) der Volksrepublik China. Im Jahr 1999 stimmten die Vereinigten Staaten dem Beitritt der VR China zur WTO zu; kurz darauf, im Jahr 2000, richtete der US-Kongress die U.S.-China Economic and Security Review Commission ein, um das Handelsverhalten der VR China zu überwachen. Im vergangenen Jahr empfahl die Kommission, den PNTR-Status für China aufzuheben, ein entsprechender Gesetzentwurf wurde im Kongress eingebracht. Die Aussetzung des PNTR hätte zur Folge, dass Chinas Handelsstatus künftig jährlich erneuert werden müsste und die USA diesen Prozess als strategisches Druckmittel nutzen könnten.

Die verantwortlichen politischen Akteure sollten eine Bestandsaufnahme ihrer Beziehungen zu China vornehmen 
und bereit sein, diese zu rechtfertigen und zu kommunizieren

Wie Deutschland seine China-Strategie gestalten sollte

  1. . Verhältnis zu China klären und sich positionieren. Für Deutschland wird es immer schwieriger, seine Beziehung zu den USA und zu China in Einklang zu bringen. Die verantwortlichen politischen Akteure – auf deutscher sowie europäischer Ebene – sollten eine Bestandsaufnahme ihrer Beziehungen zu China vornehmen und bereit sein, diese zu rechtfertigen und zu kommunizieren. Auf Basis ihrer eigenen, unabhängigen Bewertungen sollten die Verantwortlichen in Berlin dann Pläne für eine bedarfsgerechte Änderung dieser Beziehungen entwickeln.
  2. . Sich auf die mögliche Aussetzung des PNTR-Status von China vorbereiten. Ein solcher Schritt ist zwar unwahrscheinlich, aber die Trump-Regierung hat ihre Bereitschaft signalisiert, ihren Handelskrieg weiter zu eskalieren, indem sie der Empfehlung der US-China Economic and Security Review Commission vom vergangenen Herbst folgt, den Status der permanenten normalen Handelsbeziehungen (PNTR) für China auszusetzen – was eine historische Wende darstellen würde. Die Bundesregierung sowie weitere EU-Mitgliedstaaten sollten sich darauf vorbereiten, indem sie Pläne entwickeln, wie sie einem solchen Schritt standhalten und darauf reagieren können.
  3. . Das Engagement im Indo-Pazifik neu beleben. Die Fokussierung der USA auf den Indo-Pazifik wird sich weiter verstärken und zunehmend größere Anteile amerikanischer Ressourcen binden. Daraus erwächst eine neue Dringlichkeit für Deutschland, sein eigenes Engagement in Asien zu vertiefen – etwa durch eine Aktualisierung der Leitlinien zum Indo-Pazifik der Bundesregierung.

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Migrationspolitik:

Trumps Migrationsblitz

 

In den ersten 90 Tagen seiner Amtszeit hat Trump in Sachen Migration schnell und sichtbar gehandelt. Er hat Grenzkontrollen verschärft, humanitäre Aufnahmen beendet, es praktisch unmöglich gemacht, an der Grenze Asyl zu beantragen, und er versucht erneut, die Asylzuständigkeit nach Mexiko auszulagern. Er hat damit begonnen, die von ihm versprochenen Massenabschiebungen durchzuführen, indem er Militärflugzeuge und den Militärstützpunkt Guantánamo einsetzt und lateinamerikanischen Ländern mit Zöllen und anderen Strafmaßnahmen droht. 

Trumps Strategie ist konsequent: er nutzt Schock und Schrecken, um jede Form von Migration einzudämmen. Sein Vorgehen sorgt für Härte an der Grenze und Bilder von gefesselten Migranten, die an weit entfernte Orte geflogen werden. Und dennoch: Die Auswirkungen auf die Migrationszahlen sind durchwachsen. Die Ankünfte sind auf den niedrigsten Stand seit 2017, dem Beginn von Trumps erster Amtszeit, gesunken – ein uneingeschränkter Triumph für die Befürworter von Vollzug. Doch Abschiebungen liegen noch unter dem Niveau von Bidens Amtszeit.

Die globalen Auswirkungen sind negativ. Da die Vereinigten Staaten die Flüchtlingsaufnahme gestoppt und die Mittel für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR gekürzt haben, hängt der globale Flüchtlingsschutz an einem seidenen Faden. Darüber hinaus spüren Europa und Deutschland drei wesentliche Auswirkungen. Dadurch dass europäische Politiker sich von den Abschreckungskonzepten der USA inspirieren lassen, verhärten sich die Migrationsdebatten. Gleichzeitig verlagern sich die Migrationsströme, da einige potenzielle Migranten – vor allem aus Lateinamerika (insbesondere Venezuela), aber auch aus Asien und Afrika – alternative Ziele suchen. Und da auch deutschen Staatsbürgern die Einreise verweigert wird oder sie beim Versuch, die US-Grenze zu überqueren, in Gewahrsam genommen werden, trifft die Härte auch Europäer. Schlecht konzipierte Abschreckung differenziert nicht.

Europas schwache Reaktion: Aufmerksames Schweigen 

Deutschland und Europa haben die Auflösung des jahrzehntelangen Engagements der Vereinigten Staaten im Bereich der Migration aufmerksam, aber schweigend verfolgt. Einige sind begeistert (Wir sollten das auch tun!), andere sind empört (Wir müssen besser sein als das!), aber alle sind fasziniert. 

Es gibt zwei Gründe für den bemerkenswerten Mangel an offiziellen Kommentaren. Erstens sind europäische Politiker zu sehr damit beschäftigt, die Experimente der USA, die sie gerne kopieren würden, zu beobachten und von ihnen zu lernen. Politiker und Fachleute sind besonders an den Abschiebungen von Nicht-Staatsbürgern nach Costa Rica, Panama und El Salvador interessiert, weil sie die sogenannten Rückführungszentren widerspiegeln, die derzeit in Europa en vogue sind. Die Europäer würden auch gerne das sogenannte „Remain in Mexico“-Programm nachahmen, um Asyl-Outsourcing-Konzepte wie das Italien-Albanien-Abkommen auszuweiten, das immer noch schleppend anläuft. 

Der zweite Grund, aus dem europäische Politiker zu Trumps Migrationsagenda schweigen, ist, dass viele die US-Migration fälschlicherweise als weit entfernte und innenpolitische Angelegenheit betrachten, die wenig mit Außenpolitik zu tun hat. Obwohl diese Ansicht anachronistisch ist und regelmäßig widerlegt wird, bleibt Migration dennoch für Politiker ein unwillkommenes Thema, mit dem sie sich erst dann befassen, wenn die Zahl der Ankommenden steigt und die Rufe vor Ort zu laut werden, um sie zu ignorieren. Die europäischen Regierungschefs werden wohl erst dann offener für die Tatsache, dass sie die US-Migrationspolitik auf ihr eigenes Risiko (und das ihrer Bürger) ignorieren, wenn die Abschreckungspolitik der USA die Asylzahlen in Europa weiter in die Höhe treibt. Im Moment sind Deutschland und Europa noch weit davon entfernt, intelligent auf Trumps neues Migrationsregime zu reagieren. 

Was Deutschland tun sollte: Der Realität begegnen und drei Schritte machen

Veränderung beginnt damit, sich den Tatsachen zu stellen. Deutsche Politiker aller Parteien müssen anerkennen, dass Trumps Migrationspolitik direkte und negative Auswirkungen auf Deutschland und Europa hat. Ironischerweise lehnt Deutschlands migrationsfeindlichste Partei, die AfD, gleichzeitig die Migration ab, bejubelt aber Trump, obwohl seine Politik den Migrationsdruck auf Europa erhöht. 

Deutsche Politiker aller Parteien müssen anerkennen, dass Trumps Migrationspolitik direkte und negative Auswirkungen auf Deutschland und Europa hat

Deutschland und die anderen EU-Länder sollten drei Schritte unternehmen, um auf Trumps Migrationsdruck entschlossener zu reagieren:

  1. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) umsetzen, um europäisch besser zu reagieren. Die im vergangenen Jahr beschlossene Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems tritt im Juni 2026 in Kraft. Die Vorbereitung muss jetzt passieren. Die EU-Länder sollten ihre nationalen Umsetzungspläne vom Papier in die Praxis bringen. Wenn sie das tun, besteht die Hoffnung, dass Europa besser mit unvorhergesehenen Ankünften umgehen und Menschen ohne Schutzanspruch schneller zurückschicken kann. GEAS wird von vielen geschmäht, aber es ist immer noch die beste Option für Europa.
  2. Klug statt komplett kopieren: Abschreckung hat Grenzen. Trumps Abschreckungsmaßnahmen sind ein wahrgewordener Traum für Befürworter von Obergrenzen, Outsourcing und Rückführungszentren. Die EU versucht bereits, diese Ansätze zu kopieren, ebenso wie den Druck auf Partnerländer. Da sie jedoch weniger Hebel hat als die Vereinigten Staaten, sollte sie dies mit Bedacht tun. Die Fähigkeit der EU, zu drohen und Visa, Entwicklungshilfe und Handelspräferenzen zu verweigern, ist weniger wirksam, als viele Europäer es gerne hätten. Außerdem hat die EU weniger rechtlichen Spielraum. Sie kann zwar versuchen, das zu tun, was Trump tut, aber nur, wenn sie ihre Gesetze grundlegend ändert oder bricht, insbesondere diejenigen, die höhere Menschenrechtsstandards als die der USA vorsehen. Ein weiterer Grund, einen Copy-Paste-Ansatz zu vermeiden, ist, dass auch die Abschreckung der USA nicht zuverlässig funktioniert. In Trumps erster Amtszeit gingen die Ankünfte zwar in den ersten Monaten zurück (genau wie jetzt), aber die irreguläre Migration stieg bald wieder an und nahm – mit Ausnahme des Covid-Einbruchs im Jahr 2020 – in jedem Jahr seiner Amtszeit zu. 

Ob das Ziel nun weniger Migration oder einfach mehr Ordnung ist, Abschreckung und Inhaftierung allein reichen schlichtweg nicht aus. Um langfristig etwas zu bewirken, müssen sie mit anderen Maßnahmen kombiniert werden, einschließlich legaler Wege und Investitionen in alternative Aufnahmeländer.
  3. Taktik ändern und neue Verbündete finden.
Deutsche Politiker, Behörden und philanthro-pische Organisationen sollten in den Ausbau des Migrationsaustauschs zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland investieren. Die Vernetzung von Migrationsakteuren bringt zwei Vorteile mit sich. Erstens kann Deutschland von den USA lernen, wie es weitere Teile des Migrationsprozesses digitalisieren kann. Zweitens können gleichgesinnte Integrationsakteure auf lokaler Ebene – darunter Bürgermeisterinnen und Schulleiter – zu neuen Verbündeten werden, um die blühenden Beziehungen zwischen den Migrationsgegnern auf Bundesebene auszugleichen. Sie können in den Bereichen Advocacy, Unterbringung, Schulen und Integration in den Arbeitsmarkt voneinander lernen. 

Klingt die Idee neuer Allianzen in einer Zeit, in der die transatlantischen Beziehungen bergab gehen, kontraintuitiv? Sicherlich, aber Umwälzungen bieten die Chance, neue Akteure zu definieren, die die Beziehungen der Zukunft gestalten können. Die Zeit für „mehr Desselben“ ist vorbei.

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Technologiepolitik:

Der Wettlauf des Trump-Teams um die Tech-Dominanz der USA ist ein Nullsummenspiel

Wenige Tage nach Beginn seiner zweiten Amtszeit unterzeichnete US-Präsident Donald Trump die Executive Order zur Beseitigung von Hindernissen für die Führungsrolle der USA im Bereich der künstlichen Intelligenz. Damit wurde der von Joe Biden durch die Aufhebung seiner Executive Order 14110 geschaffene regulatorische Rahmen, der Sicherheit, ethische Richtlinien und internationale Zusammenarbeit in den Vordergrund stellte, bewusst demontiert. Entscheidend ist, dass die neue Richtlinie ausdrücklich das ablehnt, was sie als „konstruierte soziale Agenden“ und „ideologische Zwänge“ bezeichnet – und damit die Prioritäten der Biden-Ära in Bezug auf algorithmische Fairness, Datenschutz und Sicherheitsleitplanken direkt als politisch motivierte Innovationshindernisse angreift und nicht als legitime öffentliche Anliegen anerkennt. 

Die Trump-Administration hat eine Arbeitsgruppe zum Thema „KI-Aktionsplan“ ins Leben gerufen, die von Vertretern der Techno-Rechten dominiert wird, darunter Koryphäen aus Silicon Valley, die sich für minimale staatliche Eingriffe in die KI-Entwicklung einsetzen und gleichzeitig aggressive Exportkontrollen befürworten, um Amerikas technologischen Vorsprung zu sichern. Diese Kombination von Ansichten stellt eine klassische Dynamik in Trumps Koalition dar, die den Deregulierungseifer der Techno-Rechten mit der Entschlossenheit der Wirtschaftsnationalisten verbindet, die technologische Souveränität der USA zu stärken. 

Trump hat in seiner Regierung Spitzenkräfte aus Forschung und Investment sowie führende Vertreter der meisten Technologiegiganten versammelt. Dementsprechend behandelt er KI-Fähigkeiten als strategisches Druckmittel, das man nutzen muss.

EU beharrt auf Resistenz durch Regulierung, bietet aber keine Lösung für die Abhängigkeit

Die EU hat ihr Bekenntnis zur KI-Gesetzgebung als Eckpfeiler ihrer Reaktion aufrechterhalten und den Druck der Trump-Regierung, wichtige Bestimmungen in Bezug auf Sicherheit, Transparenz und ethische Garantien aufzuweichen, ausdrücklich zurückgewiesen. EU-Vertreter haben diese regulatorische Haltung als Wettbewerbsvorteil statt als Belastung dargestellt und setzen darauf, dass Vertrauen und Rechenschaftspflicht zu entscheidenden Faktoren für die globale KI-Entwicklung werden. 

Die Einführung des EU-Politikpakets „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ im Januar zielt in ähnlicher Weise darauf ab, ein Gleichgewicht zwischen Innovation und Aufsicht zu schaffen und die Herausforderungen des Wettbewerbs anzuerkennen, ohne den grundlegenden europäischen Ansatz aufzugeben. In Anlehnung an den Draghi-Bericht über die Wettbewerbsfähigkeit der EU wird die Notwendigkeit einer Anpassung an die veränderte geopolitische Dynamik anerkannt.

Die massive Mobilisierung von Kapital und die Initiativen der Industrie haben sich als Lichtblicke in der Reaktion Europas erwiesen. Eine Reihe neuer Entwicklungen zeugen von der industriellen Stärke und den Ambitionen der EU in diesem Bereich. Einige davon wurden auf dem AI Summit Anfang Februar in Paris angekündigt. Besonders erwähnenswert sind die 200-Milliarden-Euro-Initiative „InvestAI“, die von europäischen Unternehmen unterstützte „AI Championship Initiative“, die 150 Milliarden Euro zusagt, nationale Investitionsprogramme wie die 100-Milliarden-Euro-Zusage Frankreichs und der deutsch-französische KI-Branchendialog

Diese politischen und regulatorischen Maßnahmen haben jedoch nichts an der starken Abhängigkeit Europas von dieser Technologie geändert. Kritische KI-Infrastrukturen - von spezialisierten Chips bis hin zum Cloud Computing - werden nach wie vor von US-Unternehmen dominiert.

Was Deutschland tun sollte: Die EU als wertebasierte Alternative erhalten 

Deutschland muss die aktuelle KI-Dynamik nutzen, indem es seine technologische Souveränität ausbaut. Gleichzeitig muss es seine industriellen Stärken in einem unverwechselbaren europäischen Ansatz nutzen und vertrauenswürdige KI als Wettbewerbsvorteil auf dem Markt etablieren. Durch die Konzentration auf spezialisierte industrielle Anwendungen, eine führende Rolle in der Regulierung und nachhaltige Rechenkapazitäten können sich Deutschland und die EU als treibende Kraft in der globalen KI-Landschaft etablieren und gleichzeitig eine wertebasierte Alternative zur Deregulierung in den USA und der staatlichen Kontrolle in China bieten.

Deutschland muss die aktuelle KI-Dynamik nutzen, indem es seine technologische Souveränität ausbaut

Konkret sollte die Bundesregierung drei Schritte ergreifen: 

  1. Deutschland muss in strategischen Technologiefeldern unverzichtbare Expertise entwickeln. Deutschland muss unverzichtbares Know-how in KI-Bereichen entwickeln, in denen es eine globale Führungsposition einnehmen kann, wie es das niederländische Unternehmen ASML in der Halbleiterfertigung tut. Die neue Bundesregierung sollte sich für Förderprogramme einsetzen, die sich auf den gezielten Aufbau von Know-how in Bereichen konzentrieren, in denen die Stärken der deutschen Industrie technologische Hebelwirkungen entfalten können: industrielle KI-Anwendungen für die Präzisionsfertigung in der Automobilproduktion, spezialisierte KI-Chips für energieeffizientes Edge Computing und hochsichere KI-Systeme für den Schutz kritischer Infrastrukturen. Ziel ist es, weltweit einzigartige Kompetenzen zu schaffen, die in internationalen KI-Lieferketten technologische Abhängigkeiten von deutschem Know-how erzeugen.
  2. Aufbau eines Zertifizierungsprogramms „Vertrauenswürdige KI“. Gemeinsam mit den EU-Partnern sollte Deutschland ein KI-Zertifizierungsprogramm etablieren, das die regulatorischen Standards der EU zu einem globalen Marktvorteil macht. Dieses Programm würde ein abgestuftes Zertifizierungssystem für KI-Anwendungen schaffen, die verbesserte Standards für Datenschutz, Transparenz, Robustheit und ethische Orientierung erfüllen. Die Bundesregierung sollte sich bei der Entwicklung von Zertifizierungsprotokollen mit dem KI-Büro der EU und nationalen Zertifizierungsstellen wie dem TÜV AI.Lab abstimmen. Unterstützt durch öffentliche Beschaffungsauflagen für zertifizierte KI-Systeme würde diese Initiative eine unmittelbare Marktnachfrage nach konformen Technologien schaffen.
  3. Ein öffentlich-privates KI-Infrastruktur-Konsortium gründen. Die neue Bundesregierung sollte unverzüglich gemeinsam mit der Industrie ein öffentlich-privates KI-Infrastruktur-Konsortium gründen, das Investitionen des Bundes mit dem Know-how der Industriepartner kombiniert, um die Rechenkapazität für das Training und den Einsatz großer KI-Modelle zu entwickeln. Diese Initiative sollte Mittel für den Bau spezialisierter KI-Rechenzentren bereitstellen, die mit erneuerbaren Energien betrieben werden und Deutschland einen Wettbewerbsvorteil im Bereich nachhaltiger KI-Berechnungen verschaffen. Das Konsortium sollte der Entwicklung spezialisierter Hardwarekapazitäten durch Partnerschaften mit europäischen Halbleiterunternehmen und Forschungseinrichtungen Priorität einräumen und sich dabei insbesondere auf energieeffiziente KI-Beschleuniger konzentrieren.

 

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Klimapolitik: 

Klimaschutz unter Beschuss

In einem folgenreichen, aber keineswegs überraschenden Schritt unterzeichnete Präsident Trump an seinem ersten Tag im Amt eine Präsidentenverfügung, durch die die Vereinigten Staaten erneut aus dem Pariser Klimaschutzabkommen austreten. Als Begründung wurde die Behauptung angeführt, dass das Abkommen eine unfaire Belastung für den Steuerzahler und die US-Wirtschaft darstelle. Ein Vorgehen, das die Rhetorik und die Handlungen eines Staatsoberhaupts widerspiegelt, das den menschengemachten Klimawandel wiederholt als „Schwindel“ („hoax“) abgetan hat. Der Austritt des zweitgrößten Verursachers von Treibhausgasen – wenngleich erwartet – stellt einen erheblichen Rückschlag für die weltweiten Klimaschutzbemühungen dar. Er könnte andere Länder davon abhalten, ihre Emissionen zu reduzieren, oder, schlimmer noch, sie dazu veranlassen, dem Beispiel Washingtons zu folgen.

Mit dem Austritt haben die Vereinigten Staaten auch ihre Beiträge zur internationalen Klimafinanzierung eingestellt. Zudem hat Trump an seinem ersten Tag im Amt alle Auslandshilfen der US-Behörde für internationale Entwicklung (USAID) eingefroren. Diese Entscheidungen haben dazu geführt, dass Milliarden von Dollar, die zur Bekämpfung der negativen Auswirkungen des Klimawandels vorgesehen waren, nun fehlen. Gelder, die für Investitionen in die Resilienz, den Erhalt von Ökosystemen oder den Aufbau erneuerbarer Energieträger für Gemeinschaften an vorderster Front des Klimawandels gedacht waren.

Der Austritt der USA aus dem Pariser Abkommen könnte jedoch auch zu stärkeren Bemühungen beim Klimaschutz führen. Möglicherweise reagieren einige Länder und Akteure mit ehrgeizigeren Finanzierungszusagen oder Zielen. Die Europäische Union könnte sich beispielsweise stärker für das Abkommen einsetzen oder sich mit anderen zusammenschließen, um die Prinzipien dessen zu wahren, was als Grundpfeiler der weltweiten Bemühungen zur Bewältigung der Klimakrise bezeichnet werden kann. Die EU könnte auch zur Bildung ungewöhnlicher Partnerschaften beitragen, wie kürzlich in einer gemeinsamen Erklärung zwischen China und Frankreich veranschaulicht wurde, in der sich beide Länder zur „Aufrechterhaltung des Multilateralismus und der nachdrücklichen Unterstützung für das Pariser Abkommens“ bekennen. 

Einer Analyse von Carbon Brief zufolge könnte der „Trump-Effekt“ bis 2030 zu zusätzlichen Emissionen von vier Milliarden Tonnen CO2-Äquivalenten führen. Die „Drill, Baby, Drill“-Agenda der Trump-Regierung, mit der die weitere Förderung fossiler Brennstoffe vorangetrieben und gleichzeitig die Verbreitung grüner Technologien behindert wird, hat bereits Folgen für den Klimaschutz auf nationaler und internationaler Ebene. Massive Kürzungen bei der Entwicklungshilfe und bei Bundesbehörden werden das Einhalten von Anpassungs- und Minderungszielen erschweren. Dies wird sich auch auf Forschung, Datenerhebungen und den wissenschaftlichen Austausch auswirken. Bei der nationalen Behörde für Wetter und Ozeanografie NOAA wurden beispielsweise zahlreiche Stellen abgebaut und die Mitarbeitenden wurden angewiesen, internationale Kooperationen auszusetzen.

Deutschland ist zögerlich, Europa will auf Kurs bleiben

Am Tag nach der Wahl von Trump für eine zweite Amtszeit im Weißen Haus zerbrach die in Deutschland regierende Ampelkoalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Freien Demokraten. Die daraus resultierende Lähmung der Politik sowie die Ungewissheit über den Haushalt haben bisher eine entschlossene deutsche Reaktion auf die Kehrtwende in der US-Klimapolitik verhindert. Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft und der Zivilgesellschaft haben diese jedoch entschieden verurteilt und die EU dazu aufgefordert, zu reagieren und ihre Anstrengungen zu verstärken.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich zur Einhaltung des Europäischen Green Deal verpflichtet, einem 2020 verabschiedeten Plan zur Erreichung von Klimaneutralität bis 2050. Die Dekarbonisierung der europäischen Wirtschaft ist eine der drei Säulen des „Kompasses für Wettbewerbsfähigkeit“, dem Fahrplan der Kommission für die kommenden Jahre. Auf dem diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos betonte von der Leyen, dass „Europa beim Klimaschutz auf Kurs bleiben“ und am Pariser Abkommen festhalten werde. Den Kurs beizubehalten ist auch deshalb so wichtig, weil Polarisierung und parallele Krisen die gebotene Dringlichkeit, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen, weiter in den Hintergrund zu drängen drohen. Dies betrifft auch dessen Relevanz für die Sicherheit. Da der Klimaschutz sowohl in Deutschland als auch in Europa auf der politischen Prioritätenliste an Bedeutung verloren hat, ist die Fortführung dieses Kurses mit Herausforderungen verbunden. Dennoch besteht Grund für einen gewissen Optimismus, da grüne Technologien und Innovationen inzwischen zu einem entscheidenden Faktor für wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit geworden sind.

Was Deutschland jetzt tun sollte: Klimaschutzmaßnahmen im Inland und auf EU-Ebene vorantreiben

  1. . Durch ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen im eigenen Land mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn es Deutschland gelingt zu zeigen, wie grüne Transformation in einem großen Industrieland gemeistert werden kann, kann es gleichzeitig beweisen, dass Dekarbonisierung und wirtschaftlicher Wohlstand miteinander einhergehen. Die zukünftige deutsche Regierung hat vor Kurzem beschlossen, 100 Milliarden Euro für den Klima- und Transformationsfonds (KTF) des Landes bereitzustellen. Diese Mittel werden dazu beitragen, Innovationen zu fördern und Investitionen zu tätigen, um genau dies aufzuzeigen. Wettbewerbsfähigkeit bei grünen Technologien bietet nicht nur wirtschaftliche Vorteile, sie stärkt auch die Energiesicherheit und unterstützt Strategien zur Verringerung von Risiken gegenüber China. Darüber hinaus verleiht ein erfolgreicher Transformationspfad zur angestrebten Klimaneutralität im Jahr 2045 der deutschen Klimadiplomatie Glaubwürdigkeit. Nationale Klimaschutzmaßnahmen und internationale Verpflichtungen miteinander in Einklang zu bringen, trägt zur Vertrauensbildung bei.
  2. . Eine starke und geeinte europäische Antwort geben. Um das von den USA hinterlassenen Vakuum zu füllen – einschließlich der nachlassenden Förderung beim Ausbau erneuerbarer Energien und grüner Technologien – müssen die EU und ihre neue Kommission eine Führungsrolle beim Klimaschutz übernehmen. Dazu gehört auch, die neue Realität im transatlantischen Verhältnis zu akzeptieren und sich besser auf Ungewissheit vorzubereiten. Die EU muss der internationalen Gemeinschaft einerseits versichern, dass sie sich den Zielen von Paris verpflichtet fühlt, und andererseits dieses Bekenntnis durch konkrete finanzielle und politische Maßnahmen unter Beweis stellen. Um interne Differenzen zu überwinden und eine starke und geschlossene Front gegen Trumps Agenda zu bilden, muss die neue deutsche Regierung Vertrauen wiederherstellen und dem politischen Zusammenhalt innerhalb der EU Priorität einräumen. Eine Führungsrolle beim Klimaschutz sollte sich auch darin zeigen, der Verpflichtung der G7 zur Abschaffung von Subventionen für fossile Brennstoffe neuen Antrieb zu verleihen.
  3. . Stärkung von Partnerschaften für Klimaschutz und eine gerechte Energiewende. Die neue Bundesregierung sollte die Zusammenarbeit im Klimabereich weiterhin fördern und vertiefen, auch mit strategischen Partnern wie Indien oder Brasilien, dem Gastgeber der nächsten COP. Solche Partnerschaften – darunter die Klima- und Entwicklungspartnerschaften oder die Just Energy Transition Partnerships (JETPs) der G7 – dienen mehreren Zielen: Sie tragen zur nachhaltigen Sicherung von Lebensgrundlagen in Klimahotspots bei und stärken die Widerstandsfähigkeit gegen ökologische Krisen. Dadurch wirken sie auch direkt auf Faktoren ein, die zu erzwungener Migration führen. Darüber hinaus können solche klimadiplomatischen Maßnahmen Deutschlands „Soft Power“ stärken, was anderen außenpolitischen Prioritäten des Landes zugutekommt, wie etwa einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu erlangen.

 

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Bibliografische Angaben

Tausendfreund, Rachel, Thomas Kleine-Brockhoff, Claudia Schmucker, Aylin Matlé, Stefan Meister, Michael Laha, Katja Muñoz, Victoria Rietig, Mechthild Becker, and Erin Pobjie. “Die ersten 90 Tage Trump 2.0.” DGAP Report 1 (2025). German Council on Foreign Relations. April 2025. https://doi.org/10.60823/DGAP-25-42152-de.
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