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17. Sep 2025

Die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit ist kein Nato-Gegenpol

Michael Laha
SOZ 2025 in Tianjin, China
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Ein Treffen von Xi, Putin und Kim, wie unlängst in Peking, gab es in dieser Form noch nie. Es zeugt von einem Schulterschluss gegen die transatlantische Sicherheit. Um den Aufbau einer Nato-ähnlichen Allianz handelt es sich dabei aber nicht.

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Anfang September trafen sich Dutzende Staats- und Regierungschefs, unter ihnen Russlands Putin, Indiens Modi und Irans Pezeshkian, in der chinesischen Hafenstadt Tianjin zu einem Gipfel der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ). Wenige Tage später folgte in Peking eine grossangelegte Militärparade. Die meisten Gäste blieben eigens für die Parade in der Hauptstadt, um den 80. Gedenktag des chinesischen Widerstandskriegs gegen Japan zu zelebrieren. Der SOZ-Gipfel und die Militärparade waren so eng aneinandergereiht, dass diese Inszenierung der ganzen Welt den Eindruck gab, hier formiere sich ein Gegenstück zur Nato.

Modi reiste wieder ab

Dass aber einer der wichtigsten SOZ-Teilnehmer, nämlich Indiens Premierminister Modi, sofort nach dem Gipfel und noch vor der Militärparade wieder nach Hause reiste und Nordkoreas Kim Jong Un, der gar nicht am SOZ-Gipfel teilnahm, dann für die Parade dazukam, blieb mehr oder weniger unbemerkt. Die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit ist eine asiatische Interessengruppe, die geopolitisch an Gewicht und Bedeutung gewinnt, aber von einer neuen, antiwestlichen Nato wird wohl jahre-, wenn nicht sogar jahrzehntelang nicht ernsthaft die Rede sein können.

Denn SOZ-Mitglieder, im Gegensatz zu Nato-Mitgliedern, sind nicht zu einer Beistandshilfe verpflichtet. Somit ist die SOZ kein Militärbündnis. Die SOZ, die im Jahr 2001 aus den sogenannten «Schanghaier fünf» gegründet wurde, war auch nie als solches gedacht. Auch wenn es ursprünglich um regionale Sicherheit ging, lagen die gemeinsamen Aktivitäten hauptsächlich in der Terrorismusbekämpfung. Die KP Chinas redet schon seit Jahrzehnten über die sogenannten «drei Übel» – Terrorismus, Extremismus und Separatismus. In der Praxis schlug sich dieser Dreiklang vor allem in der Unterdrückung der uigurischen Minderheit in Xinjiang nieder. Die Nato hingegen war von Anfang an als Allianz kreiert, auch wenn diese über die 70 Jahre ihres Bestehens regelmässig hinterfragt wurde.

Auch künftig dürfte eine Beistandsverpflichtung im Rahmen der SOZ kaum eine Rolle spielen. So wurden etwa 2017 die zwei Erzrivalen Pakistan und Indien volle Mitglieder der SOZ. Diese zwei Atommächte streiten sich schon seit mehr als 70 Jahren mit wenig Aussichten für eine Entspannung, von einem Bündnis ganz zu schweigen. Erst vor wenigen Monaten kam es erneut zu einer Eskalation. Auch Indien und China mussten Grenzstreitigkeiten zur Seite legen, um ein bilaterales Treffen am Rande des Tianjiner SOZ-Gipfels zu ermöglichen.

Trotzdem bedeutet die Entwicklung eine neue Herausforderung für den Westen. Denn ein Treffen von Putin, Xi und Kim in Peking gab es in dieser Form noch nie, und es zeugt von einem klaren Schulterschluss gegen die transatlantische Sicherheit. In seiner Rede während des SOZ-Gipfels sprach Xi von einer «chaotischen Weltordnung» und kritisierte die «Tyrannei» gewisser Länder. Damit war die Regierung in Washington gemeint. Die Zölle, die die Trump-Regierung gegen Indien verhängt hat, hatten Indien zu einer kurzfristigen Annäherung bewogen.

Eher weniger Aufmerksamkeit erhielt eine gemeinsame Stellungnahme der SOZ-Teilnehmenden. Die sogenannte Tianjin-Erklärung umfasste auch Vereinbarungen zur Kooperation im Bereich der KI, ein Potenzial, das jedoch von den teilweise übersteigerten Ängsten vor einem möglichen militärischen Gegenpol überschattet wurde. In dieser Erklärung bekennen sich die Mitglieder dazu, gemeinsam gegen die Risiken von KI-Technologien vorzugehen; zusätzlich wolle man einen SOZ-KI-Kooperationsmechanismus ins Leben rufen.

Strategische Interessen Pekings

Über die letzten Jahre hinweg bot sich die SOZ als diplomatisches Forum an, zu dem auch Putin – der mittlerweile von westlichen Foren wie der G-7 ausgeschlossen wurde – weiterhin eingeladen wird. Die SOZ unterstützt Chinas Belt and Road Initiative zum Ausbau der Handelswege von Peking über den asiatischen Kontinent. Somit siedelten sich verschiedenste strategische Interessen Pekings innerhalb der SOZ an, auch wenn oder besonders weil sie weniger Zuspruch im Westen fanden. Vor Jahrzehnten begann man mit Terrorismusbekämpfung, die Belt and Road Initiative kam später dazu, jetzt findet auch KI einen Platz innerhalb der SOZ.

Die Tianjin-Erklärung ist also das jüngste Glied in einer Reihe von strategischen Stellungnahmen, die verdeutlichen, worum es bei der SOZ im Kern geht: eine von China initiierte Kooperationsplattform, in der neue Prioritäten eingegossen werden. Damit dient die SOZ als Vehikel, über das zumindest der Eindruck einer alternativen Weltordnung geweckt werden kann. Verschiedene Aspekte solch einer Grundlage werden tatsächlich dort zusammengefügt. Ob die SOZ aber wirklich zu einem neuen Gegenlager der Weltordnung heranwächst, bleibt aufgrund der verschiedensten Interessenlagen ihrer Mitglieder unbeantwortet. In der Zwischenzeit muss man sich im Klaren sein, dass es sich hier (noch) nicht um eine Nato-ähnliche Allianz handelt.

Bibliografische Angaben

Laha, Michael. “Die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit ist kein Nato-Gegenpol.” September 2025.

Dieser Beitrag wurde ursprünglich am 17.09.2025 bei Neue Zürcher Zeitung (NZZ) veröffentlicht.

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