Kommentar

25. Nov. 2025

Ein fehlgeleiteter „Friedensplan“ und seine Folgen

Dr. Patrick Keller
Thomas Kleine-Brockhoff
US Secretary of State Marco Rubio speaks during a press briefing at the United States Mission to the United Nations and Other International Organizations in Geneva, Switzerland, Nov. 23, 2025 with US and Ukraine flags in background
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Außenpolitiker mehrerer westlicher Staaten haben das Schlimmste abgewendet. Der russisch-amerikanische 28-Punkte-Plan für die Ukraine, der nicht das Potential hatte, den Konflikt zu beenden, dafür aber die russische Aggression belohnen wollte, wird nicht umgesetzt. Damit kann er auch nicht Grundlage werden einer neuen, auf einer Balance der Großmächte gründenden Weltordnung – so wie sich das die Chefunterhändler, Steve Witkoff und Kirill Dmitrijew, offenbar gedacht hatten.

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Als Ergebnis eines inner-republikanischen Machtkampfs in Washington sowie europäischer Interventionen liegt nun ein neuer Entwurf auf dem Tisch, in dem viele der für die Ukraine und für Europa gefährlichen Elemente aus dem ursprünglichen Text fehlen. Die Quasi-Kapitulation der Ukraine und die faktische Spaltung des Westens sind damit vorerst abgewendet. Die Europäer haben gleichsam über Nacht geschafft, was ihnen in den Kriegsjahren zuvor nicht gelungen war: einen eigenen (alternativen) Plan für die Beendigung des Krieges in der Ukraine vorzulegen.

Ob damit der Frieden ein Stück näher gerückt ist oder die Ukraine weiterhin dem militärischen und diplomatischen Maximalismus Russlands ausgesetzt sein wird, bleibt zunächst offen. Die November-Tage, in denen erst die Ergebnisse von Geheimverhandlungen durchgestochen wurden und dann ein frenetischer diplomatischer Prozess in Gang kam, werden jedenfalls so schnell nicht vergessen werden. Denn der 28-Punkte-Plan liefert auch eine Blaupause dafür, wie sich Trumps Amerika und Putins Russland die Welt vorstellen. Es gilt daher, den Entwurf genauer zu studieren und daraus abzuleiten, wie insbesondere Europa nun vorgehen sollte.

Ein amerikanisch-russischer Bereicherungsplan

Der ursprüngliche amerikanisch-russische Plan war aus mindestens drei Gründen untauglich, einen stabilen Frieden herbeizuführen. 

Erstens berücksichtigte er einseitig die Interessen Russlands, etwa indem Russland neben der Krim auch die Regionen Luhansk und Donezk vollständig zugesprochen wurden – also auch Gebiete, die es bislang militärisch nicht erobern konnte. Auch mit Blick auf die Reduzierung der ukrainischen Streitkräfte, das Verbot eines NATO-Beitritts der Ukraine und die vollständige Reintegration Russlands in die Weltwirtschaft nahm er russische Maximalforderungen auf, wohingegen die Sicherheitsgarantien für die Ukraine unspezifisch blieben. 

Zweitens war der Plan aufgrund handwerklicher Schwächen nicht praktikabel. Die wichtigste betrifft die Sequenzierung: In welcher Reihenfolge die vereinbarten Schritte getan werden sollten, war nicht festgelegt. Hätte sich die Ukraine erst aus ihrem Territorium in Donezk zurückziehen müssen, bevor es zu einem Waffenstillstand gekommen wäre? Hätte der Austausch der Kriegsgefangenen abgeschlossen sein sollen, bevor die Sicherheitsgarantien in Kraft treten? Wann im Prozess sollten die Sanktionen gegen Russland aufgehoben werden? Solche Unklarheiten öffnen Tür und Tor für Schuldzuweisungen, Beschwerden und Blockaden. Sequenzierung ist für Friedensprozesse oft entscheidend – schon Minsk I ist daran gescheitert.

Drittens hätte der ursprüngliche Plan die Entfremdung zwischen Europa und Amerika beschleunigt. Er war zwischen den USA und Russland verhandelt worden – über die Köpfe der Ukraine und Europas hinweg. Offenbar wurden die Entscheidungsträger in den Hauptstädten Europas erst kurz vor Veröffentlichung des Plans über seinen Inhalt in Kenntnis gesetzt.

Schlimmer noch, es war ein amerikanisch-russischer Bereicherungsplan. So sollten die in Europa eingefrorenen russischen Vermögenswerte zu weiten Teilen unter amerikanischer Führung in der Ukraine investiert werden – wobei die USA 50 Prozent der erzielten Gewinne einstreichen wollten. Andere Teile der „frozen assets“ wollten die USA und Russland in gemeinsamen Projekten anlegen. 

Die Ukraine als Staat auf Abruf? 

Dazu passt, dass der Plan die Wiederaufnahme eines Sicherheitsdialogs zwischen der NATO und Russland vorsah – „mediated by the United States“. So, als wären die USA nicht mehr Teil der NATO. Nur eine weitere schlampige Formulierung oder ein tiefer Blick in Geist und Herz dieser US-Administration? So oder so: Die im ursprünglichen Plan formulierte Verständigung zwischen Washington und Moskau ginge auf Kosten Europas.

Es war richtig, dass sich die Staaten Europas rasch und geschlossen gegen diesen Plan stellten. Er zeigte die Neigung der US-Regierung, für eine schnelle Einigung mit Putin weitreichende Zugeständnisse der Ukraine zu erzwingen. So entsteht jedoch kein dauerhafter Frieden, sondern eine verwundbare, fragile Ukraine. Und ein Russland, das sich in der Überzeugung bestätigt sehen dürfte, dass sich die Anwendung militärischer Gewalt gegen Europa auszahlt – womöglich auch über die Ukraine hinaus.

Klar ist: Eine „Rest-Ukraine“, die sich nicht plausibel gegen eine neuerliche Aggression Russlands verteidigen kann, wäre ein Staat auf Abruf. Insbesondere dann, wenn sie sich trotz heroischer Anstrengungen als einseitiger Verlierer des Krieges fühlen müsste, vom Westen im Stich gelassen. Unter solchen Umständen würden die Wahrung der politischen Stabilität, die Integration von Veteranen und Rückkehrern, die wirtschaftliche Erneuerung und die Bekämpfung von Korruption und Organisierter Kriminalität noch schwieriger als ohnehin. Und damit ein schwärendes Problem für ganz Europa.

Wie sich Europa Respekt verschaffen kann

Es war ein wichtiges Signal der Handlungsfähigkeit Europas, dass sich Deutschland, Großbritannien und Frankreich zusammenschlossen, um den 28-Punkte-Plan zu überarbeiten und seine gravierendsten Fehler zu beheben. Im Moment der Not kam es in der Führung Europas eben doch auf diese drei an, ohne hörbaren Protest. Nun gilt es, die diplomatische Dynamik aufzunehmen und nicht erneut in Passivität zu verfallen. Trump und Putin haben gemein, dass sie nur Stärke respektieren. Es ist an der Zeit, dass Europa sich diesen Respekt verschafft. Auf Deutschland als die stärkste Macht des freien Europas kommt es dabei besonders an.

Fünf Schritte sind zu gehen:

  1. Europa muss abseits der Öffentlichkeit mit der Ukraine erörtern, welche Sicherheitsgarantien gebraucht werden, um etwaige Zugeständnisse an Russland erträglich zu machen. Das bedeutet: Deutschland und andere europäische Staaten müssen sich auf das Angebot vorbereiten, nach Abschluss eines ukrainisch-russischen Abkommens Truppen unter nationalem Kommando (nicht unter dem der NATO) in der Ukraine zu stationieren.
  2. Europa muss seine Kontakte in den US-Kongress intensivieren. Dass auch republikanische Senatoren wie Mike Rounds (South Dakota) den 28-Punkte-Plan öffentlich ablehnten, weil er nicht im amerikanischen Interesse lag, war ein ermutigendes Zeichen. Auch im konservativen Lager gibt es Kräfte, die einem Ausverkauf der Ukraine und einer anti-europäischen Politik in Washington entgegenstehen. Es braucht eine Kommunikationsoffensive, um mit diesen möglichen Verbündeten mehr Austausch und Abstimmung zu erzielen.
  3. Europa muss die Ukraine militärisch und finanziell so unterstützen, dass Russland keine Entscheidung auf dem Schlachtfeld erzwingen kann. Das ist für zukünftige Verhandlungen entscheidend. Russland darf seine Verhandlungsposition nicht plausibel auf der Annahme eines unausweichlich nahenden militärischen Siegs gründen können. Das bedeutet: Waffenlieferungen intensivieren und die in Europa eingefrorenen russischen Gelder für die Ukraine einsetzen. Letzteres sollte umgehend geschehen, bevor die USA und Russland nach diesen Mitteln greifen. Das ist nun insbesondere der zögerlichen belgischen Regierung klarzumachen.
  4. Europa muss seine gegen Russland verhängten Sanktionen endlich mit der erforderlichen Schärfe durchsetzen, also: den Handel der russischen Schattenflotte in der Ostsee unterbinden und den Import russischer Energie wirklich beenden. Auch sollte Deutschland in den Beziehungen zu Drittstaaten alle Hebel nutzen, um auf eine größere Distanzierung von Russland hinzuwirken. Die jüngsten Wirtschaftsdaten zeigen, dass die russische Wirtschaft nicht immun gegen die Folgen des Krieges einschließlich der Sanktionen ist. Auch Russland kann nicht unendlich weiterkämpfen.
  5. Europa muss seine eigenen Verteidigungsanstrengungen weiter verstärken. Das bedeutet für Deutschland: Es muss bei der Beschaffung militärischer Fähigkeiten und beim Ausbau der Personalstärke der Bundeswehr ambitionierter und vor allem schneller werden als bislang. Auch sollte der ursprüngliche 28-Punkte-Plan all diejenigen bestärken, die aus strategischen Gründen darauf drängen, bei der Aufrüstung Europas so weit wie möglich in heimische Produktion zu investieren.

Lange Kriege brauchen in der Regel mehrere Anläufe, um befriedet zu werden. Auch die Zerfallskonflikte im Jugoslawien der 1990er Jahre sind nicht mit den ersten drei Plänen gelöst worden. Der fehlgeleitete 28-Punkte-Plan ist als Startpunkt zu verstehen, der Europa hilft, sich über seine eigenen Interessen zu verständigen. Der Ausgang des russischen Krieges gegen die Ukraine wird die europäische Sicherheitsordnung auf mindestens eine Generation prägen. Es ist die Verantwortung unserer politischen Führung, dies nicht durch andere Mächte entscheiden zu lassen.

Die Autoren stehen für Hintergrundgespräche und Medienanfragen zur Verfügung: presse@dgap.org.

Bibliografische Angaben

Keller, Patrick , and Thomas Kleine-Brockhoff. “Ein fehlgeleiteter „Friedensplan“ und seine Folgen.” German Council on Foreign Relations. November 2025. https://doi.org/10.60823/DGAP-25-42971-de.
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