Der Indo-Pazifik: Eine Schlüsselregion für die europäische Sicherheit und Stabilität
Die Sicherheit und Stabilität des euro-atlantischen und des indo-pazifischen Raums sind eng miteinander verflochten.
Auch in Zukunft wird Deutschland vor allem mit Russlands Krieg gegen die Ukraine und der militärischen Bedrohung, die von Moskau für die NATO ausgeht, befasst sein. Dennoch würde Berlin die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Konsequenzen eines Konflikts im Indo-Pazifik deutlich zu spüren bekommen. Die deutsche Wirtschaft wickelt fast 40 Prozent ihres Außenhandels außerhalb der EU in dieser Region ab. Weltweit wird der ökonomische Schaden, der durch einen Krieg in Taiwan entstünde, auf zehn Prozent des globalen BIP geschätzt.
Dass China und Nordkorea den russischen Krieg gegen die Ukraine unterstützen, unterstreicht die immer engere sicherheits- und verteidigungspolitische Verzahnung beider Räume. Nordkorea entsendet Truppen und liefert Munition; China unterstützt den russischen Krieg technologisch und wirtschaftlich. Unter anderem liefert es Komponenten für militärische Ausrüstung, die direkt in die Kriegsführung einfließen. Zudem unterhält Russland in China ein Militärprogramm zur Serienproduktion von Langstrecken-Angriffsdrohnen. Dies hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Sicherheit in Europa.
Europa blickt mit Sorge auf die Entwicklungen im Indo-Pazifik
Aus europäischer Perspektive stellt Russland auf absehbare Zeit die größte Sicherheitsbedrohung dar. China wird sicherheitspolitisch in erster Linie durch die Linse seiner Zusammenarbeit mit Russland und seiner Unterstützung des Kriegs gegen die Ukraine gesehen. Darüber hinaus wird es zunehmend als systemischer Rivale wahrgenommen.
Europäische Staaten wie Frankreich, Großbritannien und Polen, aber auch Deutschland, sehen in der engen Abstimmung zwischen Russland und China vor allem die sicherheitspolitische Dimension. Der Einfluss auf Europa wird als negativ wahrgenommen. So porträtiert beispielsweise Frankreichs neue Indo-Pazifik-Strategie China als destabilisierenden Faktor, nicht nur im Indo-Pazifik, sondern auch im euro-atlantischen Raum. Ähnliche Bewertungen lassen sich britischen Strategiedokumenten entnehmen. Auch Polen blickt mit Beunruhigung auf die zunehmende Verbindung zwischen China, Russland und Nordkorea, zumal es militärisches Gerät aus Südkorea bezieht und dafür auf Stabilität auf der koreanischen Halbinsel angewiesen ist. Umgekehrt profitiert Südkorea von den europäischen Waffeneinkäufen, da diese die heimische Industrie stärken und somit zur Wehrhaftigkeit Seouls (gegenüber Nordkorea) beitragen.
Der besorgte Blick dieser drei europäischen Staaten auf die Entwicklungen im Indo-Pazifik gilt besonders der Gefahr eines Konflikts um Taiwan, von dem auch die europäischen Volkswirtschaften und Rüstungsindustrien stark betroffen wären. Zudem könnte ein chinesischer Angriff auf Taiwan eine Kettenreaktion auslösen, sollte Russland diese Gelegenheit für weitere Aggressionen auf dem europäischen Kontinent nutzen, beispielsweise gegenLänder der NATO-Ostflanke. Denkbar ist auch, dass sich China und Russland im Falle einer solchen Aggression abstimmen und parallel vorgehen.
Weitere Formen des chinesisch-russischen Zusammenrückens, die von London, Paris und Warschau kritisch beobachtet werden, betreffen den immer häufigeren Einsatz von hybriden und „Grauzonen“-Taktiken, darunter Cyberangriffen, Wahlbeeinflussung, Desinformation und Sabotage von kritischer Infrastruktur.
Aber auch wenn Frankreich, Großbritannien und Polen sich in ihrer Bewertung der Entwicklungen im Indo-Pazifik grundsätzlich einig sind, weichen ihre Einschätzungen in einem wichtigen Punkt voneinander ab, nämlich was die Rolle der USA in der Region betrifft. So ist Frankreich zwar zur sicherheitspolitischen Koordination mit den USA im Indo-Pazifik bereit, strebt aber auch in dieser Region strategische Autonomie an. In dieses Bild fügt sich, dass die neue französische Indo-Pazifik-Strategie China und die USA für die zunehmende Rivalität zwischen beiden Supermächten verantwortlich macht. Dagegen schreiben Großbritannien und Polen China eine größere Verantwortung für die strategische und systemische Rivalität zwischen den Großmächten zu als den USA. Auch wenn sie die Unstetigkeit US-amerikanischer Politik mit Sorge beobachten, setzen sie weiterhin auf eine enge Kooperation mit den USA, sowohl innerhalb der NATO als auch im Indo-Pazifik.
Die indo-pazifische Perspektive
Auch Länder im Indo-Pazifik wie Japan, die Philippinen und Südkorea betrachten die Rivalität zwischen den USA und China in der Region als destabilisierenden Faktor und langfristige Bedrohung ihrer Sicherheit. Diese Einschätzung ist im Lichte der Verschärfung der sicherheitspolitischen Lage in der eigenen Region durch eine Vielzahl territorialer Konflikte, hybrider Bedrohungen und militärischer Aufrüstung zu interpretieren. So sehen sich alle drei Staaten mit zum Teil militärisch überlegenen Nachbarstaaten konfrontiert, mit denen es ungelöste Konflikte gibt. Das gilt für Japan im Verhältnis zu China und Russland, für die Philippinen gegenüber China und für Südkorea zusätzlich im Verhältnis zu Nordkorea.
Ähnlich wie Frankreich, Großbritannien und Polen sind auch diese drei indo-pazifischen Länder in hohem Maße von hybriden Angriffen betroffen. Eine zentrale Rolle spielen die von China ausgehenden Desinformations- und Propagandakampagnen, die besonders in Manila als erhebliche Bedrohung für die Sicherheit des Landes eingestuft werden. Hinzu kommen die enorm angewachsenen Cyber-Fähigkeiten Nordkoreas, die sich auch immer wieder gegen Europa richten.
Die zunehmende Aufrüstung Chinas und Nordkoreas auch im nuklearen Bereich stellt eine Sicherheitsbedrohung dar, die Auswirkungen weit über die eigene Region hat und auch Europa betreffen kann. Besorgnis ruft zudem die immer engere militärische und technologische Kooperation zwischen Russland und Nordkorea hervor. Der Transfer von militärischer Hochtechnologie und Kenntnissen über moderne Kriegsführung von Russland nach Nordkorea stärkt die militärischen Fähigkeiten Pjöngjangs. Er bedeutet zugleich eine politische Aufwertung Nordkoreas, die den diplomatischen Einfluss des Landes vergrößert und seine politische und wirtschaftliche Abhängigkeit von China verringert. In dieses Bild fügt sich, dass darüber spekuliert wird, dass Nordkorea dem von Russland geführten Sicherheitsbündnis „Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit“ beitritt und in diesem Rahmen an gemeinsamen Militärübungen mit anderen Mitgliedsstaaten wie Belarus und Kasachstan teilnimmt. Daraus leitet sich insbesondere in Südkorea die Sorge ab, dass Nordkorea sich ermuntert fühlen könnte, seinem südlichen Nachbarn gegenüber konfrontativer aufzutreten.
Während Japan und die Philippinen mit Sorge auf eine mögliche militärische Eskalation auf der koreanischen Halbinsel blicken, betrachten beide Länder China als die deutlich größere und unmittelbarere Gefahr für die eigene Sicherheit – nicht zuletzt aufgrund ihrer geografischen Nähe zu Taiwan und der Stationierung von US-Truppen in beiden Ländern. Würde China Taiwan überfallen und die USA in den Konflikt eingreifen, würde sich Washington dazu vermutlich seiner in der Region stationierten Soldaten bedienen. Japan würde dies vermutlich durch Logistik unterstützen; ähnliches gilt für die Entsendung von amerikanischen Soldaten von den Philippinen. Aber auch in Südkorea stationierte US-Truppen könnten für Taiwan mobilisiert werden. Diese Möglichkeit bereitet Seoul große Sorge, da befürchtet wird, dass bereits eine partielle Verlegung von US-Truppen von Südkorea in Richtung Taiwan Nordkorea in Versuchung führen könnte, einen Militärschlag gegen den Süden auszuführen.
Vor diesem Hintergrund verfolgt insbesondere Japan das Kriegsgeschehen in der Ukraine sehr genau, denn China könnte Lehren nicht nur aus dem Krieg selbst, sondern auch aus der Reaktion des Westens auf die russische Aggression ziehen. Im Falle eines russischen Erfolges könnte sich Peking ermutigt fühlen, seinerseits einen Angriff auf Taiwan zu wagen. Schon allein deswegen dürfte China entschlossen sein, Russland weiter zu unterstützen. Mit seiner Hilfe für Russland könnte China außerdem darauf abzielen, die USA stärker auf dem europäischen Kontinent zu binden, um die eigene Handlungsfreiheit im indo-pazifischen Raum zu vergrößern. Doch nicht nur aus japanischer, auch aus südkoreanischer Perspektive gilt es, einen russischen Sieg zu verhindern: Dieser würde auch Russlands Verbündeten Nordkorea zum Sieger machen, was ein wichtiger diplomatischer und politischer Erfolg für die nordkoreanische Führung wäre.
Fazit: Folgerungen für Deutschland und seine europäischen Partner
Die Sicherheitsherausforderungen in Europa und im Indo-Pazifik gehen zwar von unterschiedlichen Staaten aus, weisen jedoch in ihrer Struktur, ihrem Charakter und ihrer Dauerhaftigkeit Parallelen auf: Beide Regionen sind mit Staaten konfrontiert, von denen eine systemische und langanhaltende Bedrohung ausgeht. In Europa wird Russland als die wesentliche Gefahrenquelle identifiziert; aus Perspektive der indo-pazifischen Staaten ist die Bedrohungslage durch eine Verknüpfung mehrerer Akteure gekennzeichnet, zu denen neben Russland vor allem China und Nordkorea gehören. Verschärft wird die Bedrohungslage in beiden Regionen durch die immer engere Kooperation zwischen Moskau, Peking und Pjöngjang.
Vor diesem Hintergrund müssen sich Deutschland und seine europäischen Partner, allen voran Frankreich, Großbritannien und Polen, über die Folgen im Klaren sein, sollte die westliche Unterstützung für die Ukraine bröckeln und der Sanktionsdruck auf Russland nachlassen. Ein russischer Sieg könnte Peking zu dem Schluss kommen lassen, dass es ungehindert und ungestraft in Taiwan eingreifen kann.
Um das zu verhindern, sollten die Europäer auf verschiedenen Ebenen aktiv werden:
- Die Unterstützung der Ukraine, inklusive der militärischen, muss verstärkt werden, um einen russischen Sieg über das Land zu verhindern. Gleichzeitig sollten die Europäer die Planungen vorantreiben, zum Beispiel im Rahmen der „Koalition der Willigen“, wie die Ukraine nach einem möglichen Waffenstillstand geschützt werden kann – im Idealfall in Kooperation mit den US-Amerikanern. Auch Deutschland sollte darauf vorbereitet sein, Soldaten zu einer Abschreckungstruppe beizutragen. Ferner darf der Sanktionsdruck auf Russland nicht nachlassen.
- Die Europäer müssen, gemeinsam mit Washington, ihre Anstrengungen zur Verstärkung der Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeiten der NATO beschleunigen, insbesondere entlang der Ostflanke des Bündnisses. Deutschland kommt in diesem Kontext eine herausgehobene Rolle zu.
- China sollte als sicherheitspolitisches Problem nicht nur für den Indo-Pazifik, sondern auch für Europa betrachtet werden. Erst seine technologische und wirtschaftliche Hilfe ermöglicht Russland die Kriegführung in der Ukraine. Daher sollten die Europäer Russland verstärkt als Instrument chinesischer Machtprojektion begreifen.
- Aus dieser Analyse folgt für Europa die Notwendigkeit, die Abhängigkeit von China im Bereich kritischer Güter zu reduzieren. Das gilt insbesondere für seltene Erden, die auch für die Rüstungsindustrie benötigt werden. Auch sollten sich die Europäer stärker als bisher vor chinesischen Versuchen, sich an kritischer Infrastruktur in Europa zu beteiligen, schützen.
- Schließlich sollte Deutschland in enger Abstimmung mit seinen europäischen Partnern Sanktionsmaßnahmen vorbereiten, sollte China es wagen, den Status in der Straße von Taiwan mit militärischen Mitteln infrage zu stellen. Chinesischen Regierungsvertretern sollte über verschiedene Kanäle deutlich kommuniziert werden, dass ein Angriff auf Taiwan gravierende wirtschaftliche und diplomatische Konsequenzen für Peking hätte. Eine gewisse Ambivalenz in der Vermittlung dieser Botschaft ist sinnvoll, doch darf die chinesische Führung nicht den Eindruck gewinnen, Deutschland und seine europäischen Partner würden in einer solchen Situation untätig bleiben.