Online Kommentar

14. Okt. 2025

Wie extrem ist das RN?

Jacob Ross
Externe Publikation_Rassemblement National
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Mit jeder Krise in Paris wird die Regierungsbeteiligung des Rassemblement National (RN) oder ihr Präsidentschaftswahlsieg wahrscheinlicher. Was könnte da auf uns zukommen?

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Schwierige Verortung

Ausgangspunkt der Debatten um das RN ist häufig die Frage, wie authentisch Programme und öffentliche Auftritte ihrer Vertreter die wahren Ziele der Parteiführung wiedergeben. Oft wird unterstellt, dass die Normalisierung und Verbürgerlichung, die Marine Le Pen mit dem Ausschluss ihres offen extremistischen Vaters Jean-Marie und der Umbenennung der Partei – vom Front zum Rassemblement (also die Versammlung) National – vorantrieb, in Wirklichkeit nur Fassade ist, hinter der weiter extreme Ansichten lauern. Solche Sorgen sind verständlich, können abschließend aber erst bestätigt oder entkräftet werden, wenn das RN Regierungsverantwortung bekommt.

Denn wer die Programme und Reden des RN aus zurückliegenden Wahlkämpfen studiert, wird viel rechte Programmatik lesen und immer wieder auch radikale Rhetorik hören. Man kann Anstoß nehmen an Weltsicht und Vorschlägen dieser Partei, sicher. Extremistisch klingen aber weder Le Pen, noch ihr Parteichef Jordan Bardella. Erfahrene französische Experten wie Jean-Yves Camus bestätigen das. Wer als Schwelle zum Extremismus den Willen definiere, eine verfassungsmäßige Ordnung zu überwinden – notfalls mit Gewalt – für den sei das RN heute keine extremistische Partei mehr.

Unpräzise Zuschreibungen

Hier beginnen die Probleme, in Frankreich, wie andernorts. Denn auch wenn unabhängige Experten die Programme und Diskurse des RN als nicht extremistisch einordnen, wird die Partei in Frankreich üblicherweise als „extrême droite“, also extreme Rechte benannt. Das kann zwei Gründe haben, die aber kaum einmal ausbuchstabiert werden: Der erste entspricht der eingangs formulierten Sorge, dass sich hinter einer bürgerlichen Maske die alte Fratze eines rassistischen, ethnischen Volksbegriffs verberge. Wer daran glaubt, wird alles tun, um das RN als extremistisch zu entlarven, auch, wenn die Programmatik der Partei mittlerweile eine andere Sprache spricht.

Es gibt aber noch eine andere, historisch begründete Herleitung des Begriffs „extrem“. Die Rechts-Links-Logik westlicher Politik entstand im revolutionären Paris des Spätsommers 1789. In einer Sitzung der verfassungsgebenden Versammlung saßen Abgeordnete, die dem König ein Veto bei Gesetzgebungen lassen wollten, rechts. Links saßen die Gegner dieser Entscheidung, die aus ihrer Sicht die revolutionäre Idee verriet. Die Rechts-Links Aufteilung war geboren und hat sich bis heute erhalten. Ihre ursprüngliche, räumliche Logik, kann heute verwenden, wer das RN analytisch als Rechtsaußen einordnen möchte, ohne zu werten. 

Rassisten oder Protestwähler

Ein Mittel zur Beantwortung der Frage, ob das RN heute eine extremistische Partei ist, liegt in der Untersuchung ihrer Wähler. Aus den Gründen, die sie für ihre Wahl anführen, lassen sich, so die Hoffnung von Sozialwissenschaftlern und Journalisten, Schlüsse ziehen. Leider gibt es auch hier, anders als in den Naturwissenschaften, kein eindeutiges Bild. Der Soziologe Félicien Faury hat 2024 eine Untersuchung veröffentlicht, die, grob vereinfacht, erklärt, dass eine Mehrheit der Wähler aus rassistischen Motiven für das RN stimmt. Zu diesem Schluss kommt Faury unter dem Titel „des électeurs ordinaires“ (normale Wähler) auf Grundlage qualitativer Methoden, also einer Vielzahl von Interviews mit RN-Wählern im Südosten Frankreichs.

Ganz andere Ergebnisse veröffentlichte 2023 der Meinungsforscher Jérôme Fourquet. Er stützte seine Untersuchung unter dem Titel „La France d’après“ (Frankreich von morgen) auf die Auswertung quantitativer Zusammenhänge, verglich etwa Bildungsabschlüsse und Einkommen, aber auch die Zahl von Wohnungseinbrüchen oder Gewalttaten im öffentlichen Raum mit Stimmenanteilen des RN und leitete daraus seine Erkenntnisse ab. Auch Fourquet geht davon aus, dass ein gewisser Anteil der RN-Wähler aus rassistischen Motiven für die Partei abstimmt. Die große Mehrheit reagiere mit der Wahl aber auf das Gefühl, abgehängt zu werden und von politischen Eliten regiert zu werden, die Interessen der Bevölkerungsmehrheit – etwa in Fragen der Einwanderung oder der inneren Sicherheit – ignorierten.

Zwischen Wahlkämpfen ist der Kontakt zum RN längst normalisiert, viele Pforten in der Brandmauer können für diskrete Stelldicheins genutzt werden. 

Politische Normalisierung

Indizien für das Extremismuspotenzial des RN ergeben sich auch aus dem Umgang des politischen Establishments mit der Partei. In Frankreich gibt es zwar durchaus Konzepte, die mit der Brandmauer vergleichbar sind, den „Cordon Sanitaire“ zum Beispiel oder den „Front Républicain“. Letzter wird aber mittlerweile nur noch in Zeiten des Wahlkampfes beschworen, etwa, um im Zwei-Runden-System der französischen Legislativwahl taktische Bündnisse gegen den RN einzugehen. Zwischen Wahlkämpfen ist der Kontakt zum RN längst normalisiert, viele Pforten in der Brandmauer können für diskrete Stelldicheins genutzt werden. Macron kommuniziert per SMS mit Le Pen, Sébastien Lecornu und andere Regierungschefs trafen die RN-Chefin zum Essen. 

Für die Normalisierung spricht auch, dass gerade in französischen Sicherheitskreisen die Stimmen lauter werden, die für eine Einbindung des RN werben. Das mag am Berufsbild liegen und daran, dass Polizisten und Soldaten bereits heute überdurchschnittlich stark für das RN stimmen, wie etwa die Untersuchungen Fourquets zeigen. Diese Kreise führen häufig aber auch die übergeordnete Bedeutung der nationalen Sicherheit Frankreichs ins Feld, um die Öffnung für das RN zu begründen. Experten für nukleare Abschreckung etwa fragen, ob es nicht Zeit ist, ausgewählte Vertreter der Partei in die Doktrin einzuführen, damit sie wissen, was sie im Amt erwartet. 

Experten für innere Sicherheit argumentieren außerdem, dass, wer national isoliert sei, anfälliger für Einflüsse von außen wird. Auch in Deutschland wird häufig daran erinnert, dass das RN 2014 einen Millionenkredit von einer russischen Bank erhielt. Dass der Partei zuvor von französischen Instituten kein Geld geliehen wurde, wird gerne verschwiegen. Prominente Politiker forderten deshalb zuletzt eine staatliche finanzierte „Demokratie-Bank“, um eine Benachteiligung zu verhindern und Abhängigkeiten nationaler Parteien zu verhindern. 

Demokratisches Risiko

Den Wählern, politischen Gegnern und Beobachtern des RN, bleibt am Ende nur die Suche nach Indizien. Egal, zu welchem Ergebnis die eigene Bewertung kommt – wer intellektuell aufrichtig ist, räumt ein, dass er sich täuschen kann. An dieser Stelle sei an Warnungen vor der „Post-Faschistin“ Georgia Meloni erinnert, die heute häufig als außenpolitischer Stabilitätsanker Europas gelobt wird. Oder an Donald Trump, hinter dessen autoritärer Agenda manche Beobachter „Proto-Faschismus“ erkennen wollen. Wer solche Vorwürfe formuliert, sollte sich seiner Sache sehr sicher sein. Die Warnung vor Faschismus ist das ultimative rhetorische Schwert, das besser nicht stumpf sein sollte, wenn man es wirklich braucht. 

Kurzum: Die Frage, wie rechts eine Partei ist, ob sie radikal, extrem oder gar extremistisch ist, liegt im Auge des Betrachters. Das Restrisiko bringt unsere demokratische Ordnung mit sich.

Es wäre also naiv zu glauben, dass es naturwissenschaftliche Methoden zur Erkennung extremistischer Ideen gibt. Spannend ist deshalb abschließend, dass sich französische Experten wie Camus präzise Kategorisierungen wünschen, dabei auf das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) verweisen und sich vergleichbare Berichte auch für Frankreich wünschen. Währenddessen entbrennt hierzulande gerade die Diskussion, wie politisch unabhängig eine nachgeordnete Behörde wirklich agiert. Recherchen von Ronen Steinke und Matthias Brodkorb haben den Wert des BfV für den Schutz der Demokratie zuletzt hinterfragt. Und Wahlausschlüsse von AfD-Kandidaten, etwa in Ludwigshafen, nutzt die AfD in den USA, um der Bundesregierung autoritäre Methoden und die Unterdrückung von Meinungen zu unterstellen.

Kurzum: Die Frage, wie rechts eine Partei ist, ob sie radikal, extrem oder gar extremistisch ist, liegt im Auge des Betrachters. Das Restrisiko bringt unsere demokratische Ordnung mit sich.

Bibliografische Angaben

Ross, Jacob. “Wie extrem ist das RN? .” October 2025.

Dieser Beitrag ist ebenfalls am 24.10.2025 in Die Welt geschrieben.

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