Memo

03. Sep 2025

Zapad-2025 und Russlands Kriegsplanung

Was das für Deutschland und die NATO bedeutet
Dr. Aylin Matlé
Dr. András Rácz
Russia's President Vladimir Putin looks through binoculars during the joint Russian-Belarusian military exercise Zapad 2021
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Vom 12. bis 16. September führt Russland das Manöver Zapad-2025 durch – schwerpunktmäßig auf belarussischem Territorium, das perspektivisch als (Teil-)Sprungbrett für einen möglichen Angriff auf NATO-Gebiet dienen könnte. Die Übung wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zeigen, wie Moskau sich einen Krieg gegen die NATO vorstellt. Auch wenn derzeit keine akute Eskalationsgefahr besteht, bietet das Manöver zentrale Hinweise auf Russlands zukünftiges Kriegsbild. Deutschland sollte gemeinsam mit seinen (europäischen) Verbündeten die Übung nicht nur aufmerksam beobachten, sondern darüber hinaus strategische Schlussfolgerungen ziehen – und Maßnahmen ergreifen, um wirksam gegenzusteuern. 

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Seit Jahrzehnten führt Russland jährlich ein Großmanöver in einer seiner vier strategischen Hauptrichtungen durch. Die westliche Richtung – also „Zapad“ – hat dabei nichts von ihrer besonderen Bedeutung eingebüßt. Die Übung Zapad fand erstmals 1999 statt, wurde 2009 erneut abgehalten und wird seither alle vier Jahre durchgeführt. Die Zapad-Übung 2021 diente unter anderem dazu, schwere Waffen und Logistik nach Belarus zu verlegen – Kapazitäten, die im Februar 2022 beim Angriff auf die Ukraine eingesetzt wurden.

Für das Verständnis und die bessere Einordnung von Zapad-2025 ist jedoch das Manöver 2017 aufschlussreicher: Es war formell nur ein kleiner Teil eines deutlich größeren Szenarios, das sich auf einen Krieg gegen NATO-Staaten bezog. Zwar werden alle Zapad-Manöver offiziell als defensiv deklariert – doch eingebettet in weitere Übungen desselben Jahres ergibt sich regelmäßig ein Bild offensiver Kriegsplanung.

Zudem verschleiert Russland routinemäßig das tatsächliche Umfang seiner Truppenstärken, um Beobachtungspflichten gemäß  dem Wiener Dokument der OSZE (ab 13.000 Soldaten oder 300 Panzern) zu umgehen und strategische Unklarheit zu wahren.

Für Zapad-2025 gilt dasselbe – mit dem Unterschied, dass Russland diesmal komplexere Mittel einsetzen wird, um die realen Truppenbewegungen zu kaschieren. Parallel zu Zapad finden drei weitere, formal eigenständige Übungen im Rahmen der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit statt. Die darin angelegten Szenarien können Hinweise darauf geben, welche Form des Krieges Russland gegen den Westen vorbereitet – mit hoher Wahrscheinlichkeit unter Einbeziehung der Nutzung belarussischen Territoriums.

Zapad-2025: Ein Blick auf Russlands Kriegsbild der Zukunft

Wie schon 2017 und 2021 dient auch Zapad-2025 der Vorbereitung auf eine mögliche Konfrontation mit dem Westen – eingebettet in ein umfassenderes militärisches Gesamtbild.

Mit insgesamt vier parallel laufenden Manövern könnte die russische Truppenpräsenz in Belarus auf mehrere Zehntausend Soldaten anwachsen. Zudem plant die belarussische Regierung groß angelegte Mobilmachungsübungen, die auch zivile Infrastruktur und Dienste einbeziehen.

Voraussichtlich wird auch das neue ballistische Raketensystem „Oreschnik“ in der Zapad-Übung in diesem Jahr eine Rolle spielen – sei es in Form von Simulationen oder realem Waffeneinsatz. Damit verfolgt Russland sowohl operative als auch strategische Ziele: Die Oreschnik gilt als potenziell effektivste konventionelle Rakete im russischen Arsenal – auch wenn unklar ist, ob sie sich noch in Entwicklung oder bereits in Serienproduktion befindet. Ihre demonstrative Einbindung wäre Teil einer gezielten Informations- und Abschreckungsstrategie, während ihre technische Entwicklung fortgeführt wird.

Militärische Präsenz Russlands in Belarus könnte weiter ausgebaut werden

Der Großteil von Zapad-2025 findet auf belarussischem Staatsgebiet statt. Belarus ist seit dem Zerfall der Sowjetunion ein enger militärischer Verbündeter Russlands – mit zunehmender Abhängigkeit und sinkender militärischer Souveränität. Bereits heute würden im Falle eines Krieges sämtliche belarussischen Bodentruppen dem russischen Kommando unterstellt. Die Luftwaffen beider Länder agieren bereits vollständig integriert.

Schon vor dem Überfall auf die Ukraine waren russische Truppen in Belarus präsent – dauerhaft wie rotierend, in Gefechts- wie Unterstützungseinheiten. Russland nutzte belarussisches Territorium uneingeschränkt für Angriffe auf die Ukraine, führte hunderte Kampfpanzer und Schützenfahrzeuge ab. Zudem repariert belarussisches Wartungspersonal russisches Gerät sowohl in Belarus als auch in Russland.

2023 begann Moskau zudem, taktische Nuklearwaffen in Belarus zu stationieren – ein klarer Hinweis auf die zunehmende strategische Vereinnahmung des Landes. In einer Pressekonferenz im August 2025 kündigte Präsident Putin gemeinsam mit Lukaschenko sogar an, Oreschnik-Raketen dauerhaft in Belarus stationieren zu wollen - eine weitere Unterordnung des Landes unter russische militärstrategische Ziele.

Zapad-2025 passt genau in dieses Muster: Russland nutzt Infrastruktur und Territorium seines Verbündeten nach eigenen Vorstellungen. Die formale Zustimmung der belarussischen Regierung ist inzwischen reine Formsache.

Was Deutschland und die NATO daraus ableiten sollten

Gerade für die östlichen NATO-Mitglieder aber auch den Rest der Allianz lohnt ein genauer Blick auf Vorbereitung und Ablauf der Zapad-Übung in diesem Jahr. Auch wenn keine unmittelbare Kriegsgefahr besteht, sind drei Punkte entscheidend:

  • Russland fehlen aktuell die Kapazitäten für einen Angriff auf die NATO. Die meisten Land- und Luftlandetruppen sind in der Ukraine gebunden. Ein Angriff – etwa auf die baltischen Staaten – ist daher unwahrscheinlich. Das darf jedoch nicht zu dem Trugschluss führen, dass Moskau erst nach Kriegsende in der Ukraine oder erst gegen Ende dieses Jahrzehnts militärisch gegenüber der NATO aktiv werden könnte.
     
  • NATO-Staaten reagieren mit eigenen Manövern. Parallel zum Zapad finden-Manöver u. a. in Polen und Litauen groß angelegte Übungen der Joint Expeditionary Force (JEF) statt: „Tarassis 25“ simuliert Verteidigungs- und Offensivoperationen sowie Koordination und Reaktionsfähigkeit. Es ist die größte Übung seit Gründung der JEF, an der sich voraussichtlich alle zehn Mitgliedstaaten – Dänemark, Estland, Finnland, Island, Litauen, Lettland, die Niederlande, Norwegen und Schweden unter der Führung des Vereinten Königreichs - beteiligen werden. Zudem übt Litauen in „Thunder Strike“ taktische Manövern an verschiedenen Standorten, gemeinsam mit der Bundeswehr. Im Rahmen der „Quadriga 2025“-Serie sind darüber hinaus rund 8.000 deutsche Soldaten aus allen Teilstreitkräften  gemeinsam mit Truppen aus 13 weiteren Nationen zwischen August und September 2025 im Baltikum, in Finnland und auf der Ostsee im Einsatz.
     
  • Belarus versucht, Deeskalationssignale zu senden. In einem Interview mit dem TIME Magazine Anfang August erklärte Lukaschenko, das Zapad-Manöver werde weiter ins Landesinnere verlegt – weg von der NATO-Grenze. Zwar hat Belarus nicht die strategische Tiefe Russlands, doch die Ankündigung signalisiert immerhin ein begrenztes Interesse an Deeskalation. Verteidigungsminister Chrenin betonte mehrfach, Belarus sei bereit, internationale Beobachter zuzulassen. Einladungen wurden an alle Unterzeichnerstaaten des Wiener Dokuments verschickt; zudem sind auch Militärattachés vor Ort eingeladen.

Empfehlungen für die Zeit nach Zapad-2025

  • Übungen mit Doppelcharakter ermöglichen. NATO-Manöver sollten so konzipiert sein, dass sie im Ernstfall unmittelbar in reale Verteidigungsoperationen überführt werden können – inklusive Einsatzbereitschaft, Munition und Logistik oder zumindest klaren Plänen zur schnellen Bereitstellung dieser Fähigkeiten. Das stärkt die Abschreckung gegenüber Moskau.
     
  • Unangekündigte Übungen strategisch nutzen. Unabhängig von künftigen russischen Übungen sollten die NATO-Verbündeten eigene (unangekündigte) Manöver durchführen, um ihre Fähigkeiten gegenüber Russland zu demonstrieren. „Snap Exercises“ können nicht nur russische Unsicherheit über Ort und Zeit einer möglichen NATO-Reaktion erhöhen, sondern sollten zugleich die Botschaft vermitteln, dass das Bündnis bereit ist, eigene Verluste in Kauf zu nehmen, anstatt abzuwarten, bis die volle Einsatzbereitschaft hergestellt ist. Dieses Signal könnten die Alliierten zusätzlich verstärken, indem sie entlang der russischen Grenze trainieren und Moskau so im Unklaren lassen, wo es eigene Truppen stationieren und konzentrieren müsste, um im Ernstfall schnell reagieren zu können.
     
  • Stärkere Koordination der NATO-Übungen. Statt vieler kleiner, national organisierter Manöver sollte ein groß angelegtes, koordiniertes NATO-Manöver erwogen werden – als konsistenteres Signal der Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit.
     
  • Alle russischen Übungen als Puzzlestücke betrachten. Nur durch die systematische Analyse aller russischen Aktivitäten entlang der NATO-Grenzen entsteht ein Gesamtbild – insbesondere im Hinblick auf verdeckte oder hybride Kriegsführung, Zielauswahl und Eskalationspfade.
     
  • Klare Abschreckungskommunikation. Die NATO sollte gegenüber Moskau unmissverständlich klarstellen: Jeder Angriff auf NATO-Territorium würde auch russisches Staatsgebiet zur Zielscheibe machen. Diese rote Linie muss frühzeitig und glaubwürdig kommuniziert werden.

Bibliografische Angaben

Matlé, Aylin, and András Rácz. “Zapad-2025 und Russlands Kriegsplanung.” DGAP Memo 44 (2025). September 2025.
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